Twitkrit-Kritik

Lange Zeit mochte ich Twitkrit für das Ausbreiten origineller und oft witziger Gedanken, die sich die Autorinnen jedweden Geschlechts zu den besprochenen Microblog-Nachrichten einfallen ließen. Hin und wieder störte mich die allzu bestätigende Bezugnahme auf Rollen und Klischees, die ich ablehne, aber dann kam wieder etwas wie „Nerds auf Partys“ und ich war versöhnt. Zwei aktuelle Texte haben mir den Spaß an Twitkrit aber nachhaltig verdorben.

In „Immer die Sehnsucht nach dem attraktiveren Rasen.“ entwirft die Autorin happyschnitzel ein unverhohlen und konsequent auf sexistischen Rollenvorstellungen aufbauendes Szenario. Da werden die Männer nach ihrem Auto bewertet, Frauen nach ihrem Genörgele, ihrer Frisur, ihrem Kartoffelsalat und danach, wie hübsch sie sind. Idealerweise sind sie sogar „bildhübsch“ und haben vom Spaziergang gerötete Wangen, tragen „flauschige Strickpullover“ und „glucksen leise vor Freude“, während sie unbegreiflicherweise „an Mandarinen reiben“. Sprachlich auffällig ist, wie in dieser heteronormativen Idylle „der Mensch“ synonym zu „Mann“ ist.

Nochmal trauriger ist „Alle lieben Schäuble“ von textundblog. Trotz aller inhaltlichen Differenzen sollte klar sein, dass behindertenfeindliche Äußerungen nicht nur kein Mittel der politischen Außeinandersetzung sind, sondern auch sonst nicht akzeptabel und erst recht nicht noch positiv verarbeitet werden sollten. Ebenso klar sollte sein, dass auch bei Übereinstimmung in einzelnen Sachfragen keine positive Bezugnahme auf Gruppen mit fremdenfeindlichen Positionen stattfinden sollte. textundblog gelingt es, diese beiden Grundsätze in einem Beitrag zu verletzen.

Der grundsätzlich lustige Ansatz, den textundblog für seinen Beitrag wählt, ist es, die umfangreiche und überwiegend kritische Aufmerksamkeit, die Schäuble in der virtuellen Gesellschaft erfährt, als positive Bezugnahme umzudeuten. Da wird eine Erwähnung des Plakat-Remix-Wettbewerbes ebenso zu einem Ausdruck purer Begeisterung wie ein Kommentar zu Original-Schäuble-Plakaten auf dem ehemaligen Mauerstreifen. In gleicher ironischer Manier behandelt textundblog eine Kritik des islamophoben Blogs politically incorrect an Schäubles Integrationspolitik. Damit stellt er diese menschenverachtende Meinung (hoffentlich) ohne inhaltliche Betrachtung als durch ihre Opposition zum verhassten Schäuble legitime Position dar. Für ein letztes Zitat muss eine Twitternachricht herhalten, die andeutet, Schäubles Befürwortung einer „Online-Überwachung“ wäre damit zu begründen, dass er „die Welt [wie aus der Hocke] sehen müsste“. Hier wird also eine unliebsame politische Meinung direkt mit einer Behinderung begründet.

5 Antworten auf „Twitkrit-Kritik“

  1. gute und richtige kritik. die kinder denken immer ist eh alles nur spass. aber gerade das im spass gesagt verrät viel über die weltauffassung

  2. Das Leben ist vollllller
    MISTverständnisse…

    einerseits…

    ..und viele Tweets definitiv voll daneben.

    Das @HappySchnitzel hast Du nicht kapiert. Bei Schäuble haste vielleicht recht oder auch nicht.

    Eher daneben ist, daß man beliebig einfach blocken und adden,… kann ohne daß das reflektiert reversibel ist;
    andersrum: keiner hat ein EinspruchsRecht.

    Womit das nicht web2.0 eigentlich ist.

    Eher Parallele Selbstdarstellung.

    Tja, wie das verbessern? Ist nicht die Schuld von Twitter alleine.

    Beleidigungen,…. gibts überall viiiiiel zuviel, das stimmt.

    Happy Grins 2 u, salomon

    1. „Nicht kapiert“ – Ich halte sie nicht für eine Sexistin. Ich denke nicht mal, dass der Text sexistisch gemeint war; vielleicht denkt sie sogar, er wär das Gegenteil. Trotzdem bestätigt eine solche Bezugnahme („Affirmation“) Sexismus, gleich welche Intention dahinter stand, denn eine ironische Position zu dem Szenario ist nicht mal als Unterton erkennbar.

  3. hmm … meiner Meinung nach ist „die Sehnsucht nach dem perfekten Rasen“ ein recht flacher und nicht einmal ansatzweise origineller Ansatz einer Kritik einerseits am üblichen Problem, dass ein Mensch (egal welchen Geschlechts) zur neidvollen Betrachtung seiner Mitmenschen neigt, und andererseits des aufkommenden Rückzugs ins Private.

    Der Beitrag zu Schäuble … ist nur flach.

    Insofern stimme ich Dir vollkommen zu, Adrian.

    Ich frage mich … sind diese beiden Beiträge beispielhaft für twitkrit?

    „alles nur Spaß“?
    das ist die bequemste und leichtfertigste – und damit doch auch die aussagekräftigste – Ausrede für unüberlegte und unpassende Aussagen.

    [Adrian: Hab deine Beiträge zusammengefügt]

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