Die Männer in Stranger Things

Ich habe vor kurzem die ersten beiden Teile von Stranger Things geguckt. Einer der Aspekte die ich an der Serie besonders mag, sind die Männer-Rollen. Die Männer und männlichen Jugendlichen in Stranger Things wirken auf mich in ihrer Vielfalt und Tiefe nicht einfach nur erfrischend, sondern haben mir geradezu schmerzhaft deutlich gemacht, was (mir) so fehlt in Filmen und Serien. Ich picke relativ willkürlich aus, wer mir beim Gucken aufgefallen ist, und analysiere nicht vollständig. Außerdem lasse ich alles andere, was großartig oder auch nicht ist an Stranger Things, aus. Der Text verrät so wenig wie möglich über die eigentliche Handlung.

Allgemein sind die Männer-Figuren vielschichtig, sie haben verschiedene Fehler und Probleme; die Serie lässt sie aber so sein wie sie sind, ohne ihre Probleme in den Mittelpunkt zu rücken, ohne sie retten oder heilen zu müssen, und ohne ihnen deshalb ihren Wert abzusprechen oder sie auf ihre Probleme zu reduzieren. Jonathan Byers darf ein nerdiger High-School-Outcast bleiben, und muss nicht zum Liebling aller werden. Billy Hargrove kann Gewalt erfahren und ausüben, ohne dass seine Stellung eindeutig geklärt wird – es ist eben kompliziert, und muss trotzdem nicht gelöst werden.

Im Kontrast dazu erscheinen mir zwei Arten von Männerrollen in populärer Kultur stark überrepräsentiert. Zum einen ist da die ungebrochene, unhinterfragt dominante Männlichkeit. Das sind Männer, die Führungsrollen und vollständige Aufmerksamkeit beanspruchen und diesen Anspruch konsistent durch entsprechendes (hyper-männliches) Verhalten rechtfertigen. Solche Männer durchlaufen Krisen und können böse sein, aber es steht nie in Frage, weshalb sie Hauptperson eines Films oder einer Serie sind. Sie sind wer, sie gestalten ihre Welt, sie retten oder versuchen zu zerstören.

Wie eine Antwort darauf erscheint mir die defizitäre, dominante Männlichkeit. Das sind Männer, die gerade keine solchen Eigenschaften haben, aber trotzdem eine Hauptrolle beanspruchen (und bekommen). Es sind alltägliche(re), realitätsnahe(re) Personen, deren Erleben jedoch dargstellt wird als wären sie Super-Helden und -Bösewichte. Das archetypische Beispiel für diese Art der Darstellung von Männlichkeit ist für mich Tom Cruise als Ray Ferrier in Steven Spielbergs Krieg der Welten. Ray ist – vor allem als Vater – gescheitert. Er leistet, wie der Rest der Menschheit, keinen relevanten Beitrag zur Bekämpfung der Bedrohung. Dennoch ist er unhinterfragt als Hauptperson und Held der Geschichte, als würde er in Will-Smith-Manier am 4. Juli den entscheidenden Schlag gegen die außerirdische Invasion durchführen. Tom Cruises Charakter wirkt wie ein Versöhnungsangebot Hollywoods an all die Männer, die sich an den ansonsten angebotenen über_mensch_männ_lichen Rollenbildern messen und zwangsweise daran scheitern müssen. Anstatt mit der grundsätzlichen Idee männlichen Führungsanspruchs zu brechen, ist die Botschaft jedoch, dass alle Männer es verdienen, wie Held_innen behandelt zu werden, selbst wenn sie es nicht mal hinkriegen, ein Brot für ihre Kinder zu schmieren.

Eine Person, die ich sehr mochte, ist Steve Harrington. Zu Beginn wirkt er wie ein typischer High-School-Bully. Anders als andere Protagonisten, die so anfangen, ändert er sein Verhalten jedoch nicht durch und für eine romantische Beziehung (auch wenn die den Anstoß bietet), sondern aus eigener Überzeugung. Seiner Entwicklung wird weder in der Serie noch in der Handlung großer Raum geboten, und weder Zeitgenoss_innen noch Zuschauer_innen müssen viel emotionale Arbeit investieren, einen gewalttätigen Unsympathling in einen Helden zu verwandeln. Diese Arbeit wird ihm selbst überlassen, und er kann sie auch alleine übernehmen, da er sich nicht für etwas verändert. Außerdem – und das ist bei Stranger Things von großer Relevanz – nimmt Steve die Kinder ernst.

Einer der wenigen Erwachsenen die das auch tun (nach Joyce Byers) ist Jim Hopper. An Jim mag ich, dass seine Rolle eine große Entwicklung durchmacht, ohne dass er als Person sich verändern muss; er ist ausreichend vielschichtig gezeichnet, um viele unterschiedliche und widersprüchliche Interaktionen und Verhaltensweisen zu ermöglichen. Außerdem hat er große Probleme, ohne dass er ausschließlich darüber definiert wird oder es wie eine unglaubwürdige Ergänzung, um ihn mit mehr Tiefe zu versehen, wirkt. Eine Fähigkeit, die ich besonders an ihm mag, ist, dass er Leute ernst nimmt, seien es die Kinder, die Jugendlichen oder Joyce – auch Leute, denen er in dem Moment nicht glaubt.

Ted Wheeler ist der Hauptgrund für diesen Blogpost. Ted ist eine Nebenfigur. Er ist kein großartiger Vater, er ist wahrscheinlich kein großartiger Ehemann. Er bemerkt nicht viel, er reagiert nicht besonders, er vertraut Behörden. Ted wird eindeutig als mangelhaft dargestellt, aber die Serie hält es aus, ihn so zu lassen wie er ist. Er muss nicht über sich hinaus wachsen, er muss kein Bösewicht werden, er muss nicht als moralisch verkommen dargestellt werden. Er ist ein gewöhnlicher Mensch, keine unabgeschlossene Aufgabe auf der Todoliste der Serienmacher_innen.

Was dabei leicht untergeht: Ted hat wesentliche positive Eigenschaften, die vielen Männern – gleich ob Helden oder heldenhaften Versagern – abgehen: Er ist konsistent und vorhersehbar. Manipulative Beziehungen zeichnen sich häufig nicht dadurch aus, dass eine Person eine andere permanent schlecht behandelt, sondern, dass sie willkürlich und unvorhersehbar handelt. Über Ted wird keine_r sagen müssen dass er doch auch gute Seiten habe oder doch auch ganz nett sein kann. Keine_r muss sich Hoffnungen machen dass Ted doch irgendwann wieder so wird wie früher. Keine_r muss sich verzweifelt bemühen, Ted alles recht zu machen, um doch immer wieder enttäuscht zu werden.

Eine Antwort auf „Die Männer in Stranger Things“

  1. Huhu,

    zuerst nochmal: ich habe mich sehr über diesen Eintrag gefreut. Weil er ein erfreuliches positives Erleben beschreibt und weil er mir von einer Serie erzählt, von der ich nichts weiß. (:
    Daher gilt auch für alles weitere: ich habe von Stranger Things nicht mehr gesehen als den kurzen Ausschnitt, den du oben eingefügt hast.

    Ich habe in dem kurzen Clip Ted Wheeler auf eine Weise als negativ empfunden, die, denke ich, noch einmal von deiner Perspektive abweicht. Mir scheint nicht nur, dass es als negativ dargestellt wird, sondern sich auch selber als negativ darstellt. Seine gelangweilte Art vermittelt für mich die Botschaft „Ich weiß, dass von mir anderes Verhalten erwartet wird und eigentlich erwarte ich von mir selbst auch anderes Verhalten. Aber ich habe beschlossen, diese Erwartungen nicht zu erfüllen und alle sollen das mitbekommen.“
    Aus irgend einem Grund scheint mir das nicht gut. Ich weiß noch nicht, ob es aber genau das ist, was du gut findest („alle sollen es mitbekommen“ ⇒ explizit ⇒ transparent/berechenbar/verlässlich) oder ob gerade mein so geprägter Blick es für mich schwer macht, deine Argumentation nachzuvollziehen.
    Also zum eigentlich Grund, warum ich in den letzten Tagen über deinen Text grübele und ihn hier ab und zu fragend ins abendliche Gespräch eingebracht habe.

    Ich gehe in umgekehrter Reihenfolge vor und hoffe, damit nicht gleich dem Verständnis entgegen zu wirken:

    > Über Ted wird keine_r sagen müssen dass er doch auch gute Seiten habe oder doch auch ganz nett sein kann.
    > Keine_r muss sich Hoffnungen machen dass Ted doch irgendwann wieder so wird wie früher. Keine_r muss sich
    > verzweifelt bemühen, Ted alles recht zu machen, um doch immer wieder enttäuscht zu werden.
    Wenn ich richtig beobachtet habe, spielst du hier auf häufig vorkommende Rollenklischees an.? Ich kann jedenfalls nicht umhin, den Satz unmittelbar (und natürlich auch durch das von dir zuvor geschriebene) auf Beziehungsleben zu übertragen und auch auf das Leben mit Kindern. Dabei kann ich die Position von „keiner_m“ ganz gut wiedererkennen. Allerdings suche ich an dieser Adresse auch immer wieder das Problem und frage mich an dieser Stelle, wie in anderen Fällen für dich das zwingende „muss“ entsteht. Weil diejenig_e Kind oder Lebenspartner_in sind? Wäre es nicht auch für diese möglich, sich von solche zermürbender Verantwortung zu befreien?
    Zusätzlich steht der Satz für mich auf gewisse Weise im Widerspruch zu

    > Er ist konsistent und vorhersehbar.
    denn das oftmals vermisste und wieder zu erlangen gehoffte an einer Person erscheint mir jedoch zumeist als das aufregende, neue, unbekannte, vollkommen andersartige und daher magisch faszinierende an derselben, was man doch in den meisten Fällen nur hat, wenn man jemand noch nicht lange kennt oder noch nicht längere Zeit mit ihm/ihr in strukturierten Abläufen wie einem Haushalt verbracht hat.
    Ich habe im letzten Fall absichtlich die Pronomenreihenfolge geändert, da ich den Verdacht habe, dass es vorwiegend um „ihr“ Fälle geht. Auf den Topos der durch männliche Dominanz zur Verführerin (bzw. verführerischen Objekt) gemachten bin ich in feministischer Kritik in letzter Zeit wieder vermehrt gestoßen. Dabei wäre wohl auch meine Vorstellung der aufregenden Faszination eine entsprechend geprägte, die zu dieser Rollenverteilung zurückwill.
    Das Üble an dieser ist dann schließlich, dass nachher der Verführenden vorgeworfen wird, sie eben was du sagst: inkonsistent (/irrational), unvorhersehbar und manipulativ.

    So langsam wird es logisch eng für mich, aber nun sind wir beim letzten Punkt angelangt:
    > Manipulative Beziehungen zeichnen sich häufig nicht dadurch aus, dass eine Person eine andere permanent
    > schlecht behandelt, sondern, dass sie willkürlich und unvorhersehbar handelt.
    Puh, ok. Aber ist es denn besser permanent schlecht behandelt zu werden, als ab und zu manipuliert zu werden, was ja vielleicht auch ganz aufregend ist? Und bilden wir uns nicht zu viel auf unsere Kontrollmöglichkeiten ein, wenn wir meinen, generell nicht ständig Manipulationen ausgesetzt zu sein?
    Zu guter Letzt springt mir hier noch ein ganz anderer Punkt ins Auge: Die Manipulation durch Medien/Algorithmen/bla. Handelt es sich dabei eben nicht genau um vorhersehbare bis berechenbare Phänomene, die manipulative Wirkung entfalten? Oder mache ich da einen Ebenenfehler und die Manipulation geschieht gar nicht auf der Ebene der Berechnung sondern eben durch die unerwartetete „neue“ Information/das affirmativ-lustige Bild etc., das uns kurz stimuliert, verführt…
    Geht es darum, dort nicht mitzuspielen und ein Beziehungsbild zu entwickeln, in dem Konsistenz und Vorhersehbarkeit zu elementaren Werten werden?
    Wie könnte ein Privatleben oder eine Medienwelt so aussehen, ohne entsetzlich langweilig zu sein?
    Müsste ich als Beispiel vielleicht Stranger Things sehen? (:

    Ich bin ein bisschen verwirrt, habe aber das Gefühl, etwas wichtiges lernen zu können.

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