26c3 – Here be Dragons

Der 26. Chaos Communication Congress hat gestern offiziell begonnen. Für mich als Chaosengel hieß es schon ab dem 25. Dezember „Here be Dragons“. Insgesamt bin ich mit Stimmung, Leuten und Veranstaltungen sehr zufrieden. Die Keynote vom CCCler Frank Rieger war formal gut und rührend, inhaltlich sehe ich aber große Mängel, die ich kurz kommentieren möchte.

Frank stellte in seinem sehr Deutschland-bezogenen Vortrag aktuelle und kommende politische Kämpfe vor. Dabei warnte er unter anderem vor der Rationalisierung, und damit Entmenschlichung des Menschen. Er zitierte John Brunner aus seinem Roman Der Schockwellenreiter mit den Worten: „Wenn es so etwas wie das absolut Böse Überhaupt gibt, ist es einen Menschen wie ein Ding zu behandeln.“ Dieser wichtige und treffende Gedanke wurde von Frank leider als Argument gegen reine Mensch-Maschine-Kommunikation bei Behörden oder Unternehmen gewertet, würde doch bei einer Maschine der „menschliche Ermessensspielraum“ fehlen. Was wirklich entmenschlicht, ist aber nicht die Technik; es ist auch nicht der Mensch, der bereits bewiesen hat, wie bruchlos er Technik an dieser Stelle ersetzen kann. Was entmenschlicht, ist das System. Frank warnt vor dem Menschen als Nummer – unser System versucht, alles als (Geld-)Wert auszudrücken. Wenn Frank also vor dem Computer am Ende der Telefonhotline warnt, dann kritisiert er nicht Entmenschlichung, Rationalisierung, Be- und VerWERTung des Menschen – er kritisiert nur die Effizienz, mit der diese stattfindet.

Eines der politischen Ziele die Frank nannte war der Kampf für Datenschutz. Schon die begriffliche Mangelhaftigkeit macht in diesem Bereich deutlich, wie unklar und undurchdacht die Forderungen sind – Wovor werden Daten „geschützt“? Wie können Daten „geklaut“ werden? Bis wann sind Daten privat („schützenswert“) und wann werden sie öffentlich („befreiungswürdig“)? Warum ignorieren Datenschutzaktivisten, dass Menschen ihre Daten nicht verstecken wollen? Warum kämpfen sie gegen das Aggregieren und Bearbeiten von Daten, anstatt den Verwertungsdruck, der zu Missbräuchen führt, zu kritisieren? Frank sprach in der Keynote hauptsächlich über Profiling, also bspw. die Zuordnung des Wohngebiets oder anderer sozialer Faktoren zu Zahlungsmoral oder Kaufverhalten. Hierbei geht es gar nicht um das „Schützen“, also Verbergen persönlicher Daten. Diese Mängel in der Analyse wurden durch eine gefährliche Forderung ergänzt: Die Individualisierung der Bestrafung bei „Datenschutzverbrechen“ begehenden Unternehmen. Anstatt also den Verwertungszwang zu bekämpfen, der Manager handeln lässt, sollen jene bestraft werden, die nicht „richtig“ verwertet haben.

Insgesamt handelt es sich bei der vorgestellten Agenda um eine reaktionäre Politik, die aus einer empfundenen Bedrohung der eigenen Situation entspringt. Gegenentwürfe, sofern sie vorhanden sind, beziehen sich nur auf kleine Teilbereiche der Gesellschaft und werfen dennoch bereits große Widersprüche auf. Sandro Gayckens Vortrag „Hacker’s Utopia“ stellte – vor allem zum Ende hin – eine treffende Antithese zur Keynote dar.

PS: Zwei Dinge sind mir sehr negativ aufgefallen: Frank Rieger hat in seiner Keynote gefordert, nicht weiter nur „Pussy-Forderungen“ zu stellen; (zur Zeit noch) ein klarer Sexismus. Das T-Shirt „Steht auf wenn ihr für Freiheit seid“ wie ich es aufm Kongress gesehen habe ist abstoßend behindertenfeindlich. Ansonsten halten sich sogar latent sexistische Versehen sehr im Rahmen hier.

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2 Antworten auf „26c3 – Here be Dragons“

  1. Man kann das mit dem Sexismusvorwürfen auch wirklich mir aller Gewalt herbeikonstruieren.
    Das Festbeissen an „Pussy“ wirkt ein wenig … nun ja, eher gewaltsam gesucht.

    Ob derartiges Wortpolizeigebaren der allgemeinen Wahrnehmung wirklich berechtigter antisexistischer Foderungen dienlich ist, wage ich mal mit aller Kraft zu bezweifeln.

    Das deutsche Pendant „Weichei“ hat übrigens auch eine sexistische Konnotation, wäre das hier auf eine ebensolche Kritik gestossen?

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