Worum es geht

Am Rande der Freiheit-statt-Angst-Demonstration wurde eine brutale Festnahme gefilmt und beschäftigt jetzt nicht nur die deutsche Netz-Gesellschaft, sondern mittlerweile auch klassische Medien und Berliner Behörden. Es darf dabei jedoch nicht darum gehen, einzelne Polizisten als „Prügelbullen“ zu verurteilen.

In Österreich wird im August ein 14-jähriger Einbrecher erschossen. Sein ebenfalls getroffener Helfer wird sofort verhaftet und verhört, die Polizisten vom Dienst freigestellt und wegen psychischer Belastung erst eine Woche später verhört. Im April wird ein Student in Regensburg mit 12 Kugeln regelrecht hingerichtet, einige treffen ihn in den Rücken. Im Januar wird in Kalifornien ein gefesselter Schwarzer von einem Bahnpolizisten erschossen. Der Täter wird erst zwei Wochen später festgenommen. In der Silvesternacht 2008 auf 2009 wird ein Berliner Kleinkrimineller auf der Flucht erschossen. Das ist nur eine Auswahl der mir bekannten Ermordungen durch Polizisten in westlichen Staaten im letzten Jahr. Eine Vielzahl weiterer Fälle werden nicht mal in der linken Szene bekannt.

Im Dezember 2008 schlägt ein Hundertschaftsführer einen Besucher des Spiels BFC Dynamo gegen Tennis Borussia brutal und wird dabei gefilmt. Ähnliche Übergriffe beobachte ich im Schnitt einmal im Monat auf Demonstrationen. Am 20. Juni 2008 zieht ein Zivilpolizist bei der versuchten Massenbesetzung des ehemaligen Flughafen Tempelhof seine Waffe, um eine Festnahme zu sichern. Welche Festnahme ist eine solche Bedrohung der Existenz anderer wert? Bei einer Demonstration in Morsleben im Rahmen des Gorleben-Trecks zur großen Anti-AKW-Demo hält ein Polizist einer Person seine Schusswaffe an die Schläfe. Welches alte Bergwerk ist eine solche Bedrohung der Existenz anderer wert? Am Freitag feuert ein Polizist bei Protesten gegen eine NPD-Demo einen Warnschuss in die Luft ab.

Das sind keine Einzelfälle, das hat System. Ein System, in dem Polizisten immer wieder zu verstehen gegeben wird, dass das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Würde des Menschen, jedenfalls des Anderen, nicht viel zählt. Es ist auch unerheblich, ob diese oder jene „einfache Gewalt“ als gerechtfertigt wahrgenommen wird. Polizisten sind keine besseren Menschen, die neutral und angemessen mit einem Gewaltmonopol umgehen. Es sind bestenfalls ganz normale Personen, die ihren eigenen emotionalen Unzulänglichkeiten unterworfen sind (und wer hätte die nicht im Angesicht vieler aggressiver wuterfüllter Menschen, oder nachdem eine Person innerhalb von zwei Jahren das dritte Mal entkommt?), die in der Ausbildung und von Medien angestachelt werden, die häufig auch ideologisch geprägt sind. Polizisten sind nicht neutraler, nicht vertrauenswürdiger, nicht integerer als alle anderen Menschen – eher weniger. Der Skandal ist nicht, dass ein Polizist brutal wird, der Skandal ist, dass eine Gruppe von Menschen ohne besondere Eignung, Betreuung und Kontrolle ein Gewaltmonopol erhalten und eine Deutungshoheit vor Gericht und in der Öffentlichkeit genießen. Diese zu durchbrechen – darum geht es.

18 Antworten auf „Worum es geht“

  1. Der Fehler deine Argumentation liegt darin, dass das Ziehen der Schusswaffe nicht mit Bedrohung der Existenz anderer, wie du es so schön nennst, gleichzusetzen ist. Dafür muss noch die Bereitschaft zum Schuss vorhanden sein, bei der (versuchten) Besetzung des Flughafen Tempelhofes war diese Bereitschaft sicherlich nicht vorhanden. Außerdem finde ich persönlich das die Sicherung einer Festnahme sofern es nur das war und nicht der Polizist sich selbst bedroht fühlte, es wert ist dazu eine Waffe zu ziehen, keinesfalls aber sie zu benutzen. Das Beispiel des Berliner Kleinkrimminellen ist mir nicht näher bekannt, aber auch wenn du über das Adjektiv „klein“ und den Zusatz „auf der Flucht erschossen“ implizierst, dass die ganze Situation harmlos gewesen sei, kann man daraus keinesfalls schließen, dass keine Gefahr für den Polizisten vorlag.

    Auch stimme ich meinem Vorposter zu, selbst wenn all die von dir geschilderten Vorkommnisse in Deutschland unrechtens waren, dann verallgemeinerst du auf die gleiche Weise wie Rechte die von einigen kriminellen Ausländern auf alle schließen.

    1. Das Ziehen einer Schusswaffe führt aber regelmäßig zu der Beendigung der Existenz eines anderen – ich sehe da durchaus einen Zusammenhang. Wenn du eine Festnahme einer Person die an einem gut gesicherten Zaun rüttelt für wichtig genug hältst um Tausenden von Menschen das Gefühl zu geben, dass die Ausübung ihres Rechts auf freie Versammlung sie in Todesgefahr bringt, dann stehen wir leider auf unterschiedlichen Seiten.

      Unabhängig davon habe ich mir Schusswaffen nur als Beispiel ausgesucht, weil es häufig dokumentiert ist. Geht mal in ein linkes Archiv und guckt was in den letzten 20 Jahren gelaufen ist – dagegen war das am Samstag lächerlich. Fragt mal Antifas, wie oft Beamte der 21., 22. oder 23. ihre Dienstnummern nach Aufforderung rausrücken. Das aktuellste zum Fall von Silvester 2008/2009 ist, dass gegen einen Polizisten wegen Totschlag ermittelt wird. Von einer Gefahr für ihn ist – entgegen erster Aussagen – nicht auszugehen.

      Wo ich unzulässig verallgemeinere musst du mir mal zeigen. Ich stelle lediglich fest, dass Polizisten den an sie gestellten Anforderungen nicht entsprechen, ja nicht entsprechen können, und deshalb die Anforderungen korrigiert und Polizisten entsprechend unterstützt und ausgewählt werden müssen. Dass die Rolle der Polizei grundsätzlich eine normative und repressive ist, habe ich hier gar nicht ausgeführt. Aber auch das würde sich nicht auf „die Polizisten“, sondern auf „die Polizei“ beziehen.

    2. Das Ziehen einer Schusswaffe ist schon deshalb als Bedrohungssituation zu sehen, weil es auch ganz erheblich die Gefahr unabsichtlicher Verletzungen erhöht. Der Träger der Waffe kann stolpern – speziell in einem Handgemenge – oder ihm kann die Waffe von jemand Gewaltbereitem aus der Hand gerissen werden. Im gesicherten Holster ist die Gefahr dagegen erheblich geringer. Daher ist schon das Ziehen einer Waffe eine Eskalation der Situation, die wohlüberlegt sein will.

  2. natürlich hat das „system“. die polizei ist ein staatsapparat der ganz parteiisch auf der seite der herrschenden ordnung steht. es geht überhaupt nicht darum ob individuelle polizisten psychisch labil oder stabil sind, ob sie freundlich oder feindselig eingestellt sind, ob sie „Fehler“ machen. Es geht um ihre repressive und ideologische funktion, die ist immer gegeben. und die richtitet sich eben immer gegen herrschaftskritik.

    Lest mal „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ von louis althusser. ein klassicher aufsatz, der ist mit google schnell gefunden. (da geht es zwar nicht um die polizei im besonderen, aber man bekommt einen eindruck davon, wie der polizeiapparat ideologisch eingebunden ist).

  3. Pingback: randommedia
  4. Dass mit zweierlei Maß gemessen wird, darum geht’s!
    Verfehlungen von Organen des Staates werden anders behandelt, als solche von einfachen Bürgern.

    Und das ist der Skandal im real existierenden Rechtsstaat.

    Beherrscht wird das System von der Macht im demokratischen Mäntelchen, verspielt wird dabei das – noch vorhandene – Vertrauen der Menschen (s. Frank Fahsel, ehemaliger Richter am Landgericht in Stuttgart). Justizministerin Zypries nannte übrigens Fahsels Vorhaltungen „infam“, was aber nichts heißen will.

  5. Da mir die anderen Fälle nicht so bekannt sind, nur ein Gegenbeweis:
    Zum Warnschuss auf der NPD-Demo in Hamburg gibt es ein Video oder Bilder, die zeigen, wie die Polizei mit Stahlrohren und einer Gehwegplatte angegriffen wurden. Da sollte man versuchen, sich in die Situation zu versetzen. Vielleicht gelingt es damit. Ein Punk sitzt in einem Auto und mehrere Skins schlagen mit Stahlstangen auf das Fahrzeug ein und werfen eine Gehwegplatte ins Auto. Wenn man eine Waffe hat, sehe ich den Warnschuss als mildes Mittel an.

  6. Zu allen Kommentaren, die solche Aktionen zu beschönigen versuchen:

    Waffen dienen ausschließlich dazu, Lebewesen gefährlich zu verletzen oder gar zu töten. Bei Schusswaffen ist eine anderweitige Anwendung nur mit viel Phantasie denkbar. Eine Verteidigung ist mit einer Waffe daher nicht möglich, sondern ausschließlich ein Angriff.

    Wer eine Waffe zieht und auf jemanden richtet, macht damit seine Absicht offensichtlich, diese auch einzusetzen. So etwas sollte man nicht leichtfertig tun.

    Die Polizei versucht bei solchen Aktionen souverän darüber hinweg zu täuschen, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl, miserabel ausgerüstet und teilweise auch ausgebildet ist. Wenn genügend Leute auf den Gedanken kommen, dass Polizisten angreifbar sind, haben diese ein ernstes Problem.

    Das führt wiederum zu einer gewissen Nervosität auf Seiten der Polizei, die durchaus nachvollziehbar ist. Wer jedoch unter einer solchen Nervosität leidet, sollte nicht mit einer geladenen Waffe, einem Schlagstock oder auch nur dem Wunsch herumlaufen, dem nächsten Punk eins aufs Maul zu geben, sonst wird es schnell ziemlich hässlich.

    Mein Respekt gilt übrigens den Organisatoren, die zum fraglichen Zeitpunkt alles Menschenmögliche unternommen haben, um die Situation zu deeskalieren.

    Gruß, Alex

  7. Ich habe mit einmal die Mühe gemacht, einige LINKS betreffend staatliche Verbrechen (nur BRD) zusammenzustellen, darunter auch solche, die von der Polizei ausgingen:

    http://www.freegermany.de/yeah-merkel/rechtsbruch-justiz-polizei.html

    Man muss wirksam handeln, ich möchte auf die propagierte Zeugungsverweigerung inosfern aufmerksam machen:

    http://anarchistenboulevard.wordpress.com/2009/09/09/begrundung-der-diktaturgefahr-und-aufruf-zur-zeugungsverweigerung-die-linke-erfurt-die-linke-jena-die-linke-gera-die-linke-weimar-die-linke-thuringen/

  8. Zitat Alex:
    „Waffen dienen ausschließlich dazu, Lebewesen gefährlich zu verletzen oder gar zu töten. Bei Schusswaffen ist eine anderweitige Anwendung nur mit viel Phantasie denkbar. Eine Verteidigung ist mit einer Waffe daher nicht möglich, sondern ausschließlich ein Angriff.“

    Sowas las ich noch nie. :( Waffen dienen durchaus der Verteidigung. Soll man etwa einen Steinewerfer oder mit Messer bewaffneten Gegner mit Wattebäschchen bewerfen?

    Zitat Alex:
    „Wer eine Waffe zieht und auf jemanden richtet, macht damit seine Absicht offensichtlich, diese auch einzusetzen. So etwas sollte man nicht leichtfertig tun.“

    Richtig, aber auch zum Selbstschutz einsetzt.

    Zitat Alex:
    „Das führt wiederum zu einer gewissen Nervosität auf Seiten der Polizei, die durchaus nachvollziehbar ist. Wer jedoch unter einer solchen Nervosität leidet, sollte nicht mit einer geladenen Waffe, einem Schlagstock oder auch nur dem Wunsch herumlaufen, dem nächsten Punk eins aufs Maul zu geben, sonst wird es schnell ziemlich hässlich.“

    Es helfen keine Pauschalierungen, wie leichtfertig und Nervosität. Hier muss man jeden Fall einzeln sowie detailliert betrachten. Deswegen ist der Eingangsbeitrag nicht aussagekräftig. Vielleicht sollte man mal bedenken, dass auch Polizisten/Polizistinnen Familie haben und sicherlich nervös werden, wenn sie angegriffen werden oder mit Angriff zu rechnen haben.

    [Zeug gelöscht: Regelt euren Privatkram bitte woanders]

  9. Ich denke mal, dass es dir mit diesem Artikel tatsächlich nur darum geht aufzuzeigen, dass Polizisten eben auch nur Menschen sind und aufgrund anscheinend oft mangelbarer Ausbildung bisweilen dämliche Entscheidungen treffen.

    Ich denke/hoffe nicht, dass du der Institution „Polizei“ als solcher unterstellen willst, sie ginge mit Absicht mit aller Härte gegen die Bevölkerung vor, weil sie inhärent „böse“ ist bzw. ihr Gewaltmonopol systematisch ausnutzt. Und zwar weil … – ja warum eigentlich? Aus reinem Menschenhass?

    Das wäre dann in deinem eignen Sinne „antisemitisch“, oder sehe ich das falsch?

    Ich für meinen Teil habe persönlich noch nie schlechte Erfahrungen mit Polizisten gehabt, im Gegenteil. Damit will ich sagen – ja, es sind Einzelfälle; Einzelfälle, die vom System begünstigt werden, wenn du so willst.

    Ich kann nicht erkennen, dass sich die Polizei in Deutschland auf die Fahnen geschrieben hätte, es den Bürgern so unangenehm wie möglich zu machen. Gleichwohl fordere ich eine bessere Ausbildung sowie eindeutige Identifizierbarkeit der einzelnen Beamten – eben zu besseren Aufklärung der einzelnen Vorfälle. Ganz davon abgesehen sollte so etwas eigentlich selbstverständlich sein.

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