Freiheit? Jugendschutz!

Piraten geben viel auf den Begriff der „Freiheit“. Dass das an sich erst mal eine leere Hülse ist, hat Jens Berger gestern in einem insgesamt sehr empfehlenswerten Artikel abgehandelt, ich hatte vorgestern schon bei Pascal Rosins Text „Signalbojen im Meer der Freiheit“ in eine ähnliche Richtung argumentiert. Wie leer diese Hülse ist, konnte ich heute unter anderem auf „Wen Wählen?“ feststellen.

Dort stellt sich neben vielen anderen auch die saarländische Piratin Süntje Böttcher vor. Eine der von ihr als besonders wichtig markierten Thesen ist „Der Gesetzgeber soll härter gegen „Komasaufen“ einschreiten.“ Diese Aussage bezieht sich laut Erläuterung nur auf Jugendliche: „Jugendliche sollen durch strengere Gesetze und bessere Kontrollen vor den Folgen des Alkoholkonsums geschützt werden.“ Der ergänzende Kommentar der Kandidatin zum „Ja“ mit Sternchen lautet: „strengere kontrollen, nicht strengere gesetze, diese sind streng genug!“ Drei weitere Kandidaten der Piratenpartei (Milan Berger, Robert Hildebrandt, Ansgar Veltens) unterstützen diese These ebenfalls, alle anderen, also der Großteil aller Kandidaten, sind teilweise vehement dagegen. Wie vermutlich alle Piraten haben auch diese vier „Bürgerrechte und persönliche Freiheit“ als wichtigsten Wert eingestuft. Auf identi.ca werde ich von Markus Bosslet gefragt: „Was hat das bitte schon mit Freiheit zu tun?“

Selbstverständlich ist es eine Einschränkung von Freiheit, wenn Menschen aufgrund ihres Alters der Konsum gewisser Substanzen verboten wird. Selbst wenn Alkoholkonsum bis zu einem gewissen körperlichen Entwicklungsgrad besondere medizinische Auswirkungen hat und Jugendliche anfälliger für Suchterkrankungen sind – es bleibt eine Einschränkung. Anders als bei vielen anderen Freiheiten schränkt diese nicht einmal andere ein.

Bei der Bewertung des Themas sind zwei wesentliche Bereiche abzugrenzen:

  • Einerseits die Frage, ob Menschen überhaupt ein Recht auf im allgemeinen als „fehlerhaft“ bewertetes Verhalten haben sollten. Hier spielt jedoch selbst bei jenen die für juristische Freiheit sind ein Idealbild eines „verantwortungsvollen“, „selbstbewussten“, „informierten“ Menschen eine wesentliche Rolle. Häufig ergibt sich daraus ein faktisches moralisches Verbot – „Toleranz“ oder „Akzeptanz“ statt der Anerkenntnis, dass Menschen weder das eine noch das andere brauchen um ihr Leben führen zu dürfen.
  • Andererseits die Frage, wie ein rechtliches oder moralisches Verbot durchgesetzt wird. Auch eine Gesellschaft, die nicht mal eine moralische Ächtung für „fehlerhaftes“ Verhalten aufweist, wird vermutlich dennoch Aufklärung und Bildung bieten wollen – der Grat zum moralischen Verbot ist hier aber sehr schmal.

Es gibt einen recht breiten (links-)liberalen Konsens, juristische Verbote als wenig hilfreiche Mittel anzusehen. Stattdessen wird auf Prävention, Aufklärung oder Behebung der als Verursacher identifizierten Probleme gesetzt. Dabei wird keineswegs das moralische Verbot aufgehoben, vielmehr werden Verbote als weniger effektiv in der Bekämpfung des Verhaltens bewertet. Bei der Piratenpartei ist selbst dieser Konsens, der wie ich dargestellt habe noch lange nicht das Ende des Freiheitsbegriffs darstellt, nicht durchsetzbar.

Sinnbildlich für den unzureichenden Freiheitsbegriff der Piratenpartei ist ein Kommentar an mich von Jürgen Neuwirth aus Unterfranken: „Schon mal was von Jugendschutz gehört?“ Jugendschutz? War das nicht dieser Kampfbegriff den SIE verwenden um ihre Law-and-Order-Moral in UNSER Leben zu drängen?

15 Antworten auf „Freiheit? Jugendschutz!“

  1. So, nachdem ich jetzt auch Deinen Artikel gelesen habe:
    Es geht ja garnicht nur um die Freiheit der Jugend zu konsumieren (die mir persönlich gar nicht mal so wichtig ist), es geht auch um die Freiheit aller, unkontrolliert zu leben, im besonderen Alkohol zu handeln.
    Mit „stärkeren Kontrollen“ haben wir eine Situation, in der sich ein Konsument ständig ausweisen muss, und ein Verkäufer ständig mit Testkäufern oder ähnlichen Kontrollen rechnen muss.
    Bringen wirds selbstverständlich nichts, ist ja nur ein Kontrollapparat.

  2. Mir ist die Intention nicht klar geworden. ;-)

    Die ständige Ausweitung der Fremdbestimmung ist unerträglich. Und weil die Mehrzahl der Menschen so denkt, wird dieser Mist unter dem Deckmantel des Jugendschutzes immer weiter getrieben.

    Es geht aber nicht um Kinder und Jugendschutz, dann würde nämlich der Staat nicht gezahlte Unterhaltsleistungen übernehmen und vom Zahlungspflichtigen eintreiben, dass wäre mal eine Aktion für Kinder und Jugendschutz.

    Und selbstverständlich würden dann in jeder Gemeinde ausreichend Jugendhäuser und Sozialarbeiter zur Verfügung gestellt.

    Und ganz nebenbei gäbe es Ganztagsschulen ohne Sitzenbleiber.

    Statt dessen werden Amokläufe, Schlägereien und Sauforgien in tausendfacher Wiederholung in allen Medien zur Manipulation der Massen gesendet. Ganz zu Schweigen von dem Blödsinn, der tagtäglich rund um die Uhr im Fernsehen gesendet wird.

    Allein bei den heute selbst im Linken Lager üblichen Begriffen Bildungschancen, Arbeitschance krieg ich Pickel.

    1. Intentionen verfolge ich vermutlich zwei: Einerseits die unkommentierte Verwendung des Begriffs «Freiheit» bei der Piratenpartei, andererseits die Position einiger zu diesem Thema zu kritisieren.

  3. Du solltest nicht von Einzelmeinungen auf den Standpunkt einer Partei schließen. Ich habe Beispielsweise auch ein paar Standpunkte in meinem Profil, die sicherlich nicht Parteikonsens sind.

    Bei dir habe ich allerdings in letzter Zeit den Eindruck, dass dir jeder Strohhalm recht ist, um Piratenpartei-Bashing zu betreiben.

    1. Ich habe nicht auf den Standpunkt einer Partei geschlossen. Inhaltlich habe ich lediglich festgestellt, dass ein bestimmter „Konsens […] nicht durchsetzbar [ist]“. Was ich aber durchaus auf die Partei übertrage, ist, dass sie weder eine Definition noch eine einheitliche Interpretation – und damit meine ich nicht Unterschiede in einzelnen Sachfragen – von „Freiheit“ hat. Und das ist bei der exponierten Verwendung des Begriffs schon schade. Also wenn Piraten bei Atomstrom divergierende Meinungen haben ist das vielleicht für mich persönlich traurig, aber aus Parteisicht ok – wenn es aber bei Kernthemen solche Positionen gibt, ist das schon bedenklicher. Übrigens, als ich gestern dein Profil gesehen hab – das war einer dieser Momente wo ich mir glatt überlegt hab doch Piraten zu wählen ;-)

      Ich finde es schade, dass du denkst, ich würde Piratenpartei-Bashing betreiben. Ich werd jetzt auch nicht wieder mit den Aber-Ich-Bin-Doch-Mitglied-Und-Mag-Euch-Ganz-Doll-Ausflüchten ankommen, die werden langsam schal. Die Piratenpartei ist nunmal verflucht interessant für mich und immer noch der Ort an dem ich am ehesten politisch aktiv werden möchte. Umso mehr achte ich drauf was da passiert und versuche auch ein bisschen von fast-außen Einfluss zu üben. Außerdem hilft zumindest mir so eine Bearbeitung auch selbst bei solchen Themen.

  4. eine perspektivlose jugend, die von ihren verarmten, überarbeiteten eltern nicht die würdigung erfährt, die ein mensch zu seiner entwicklung braucht, wird sich um moral nicht kümmern..
    besonders wenn es ums exzessive saufen geht, ist es doch im grunde eine möglichkeit, für arme menschen einen ähnlichen rausch zu bekommen, wie ihn sich reiche mit dem kokain leicht kaufen können.
    natürlich muss jeder mensch das recht haben, seine arbeitskraft der gesellschaft vorzuenthalten. bei dem entmündigenden, herzlosen diskurs über die sich fehlverhaltende, schlagende und saufende jugend bekomme ich das gefühl, das es hauptsächlich darum geht.

  5. 1. es heißt „pirat“, nicht „piratin“. steht auch so in der satzung.
    2. ich bin 27 und werde nach dem ausweise gefragt.
    3. wer lesen kann, ist klar im vorteil.
    4. es war ausdrücklich nach der persönlichen meinung gefragt, parteipropaganda nachplappern ist sache anderer parteien.

    just my 2 cents ;)

    1. 1. Weiß ich, und? Nur weil ihr euch „Pirat“ nennt muss ich das nicht nachmachen.
      2. Ist deine Meinung deshalb besser? Darf ein Arbeitsloser eher über Hartz-4-Empfänger hetzen?
      3. Ich bin eh verdammt privilegiert.
      4. Und ich greife deine Position auch nirgendwo als Parteiposition an. Ganz im Gegenteil sage ich sehr bedacht, dass lediglich „dieser Konsens […] nicht durchsetzbar“ ist. Dass es in der Piratenpartei Leute gibt, die keinen besonders harmonischen Freiheitsbegriff haben, wirkt nämlich durchaus auf die Partei zurück.

      Ich hätte gern eine etwas substantiellere Äußerung dazu.

      Bei mir ist der Text übrigens umsonst.

  6. Du möchtest also das Jugendliche selbst entscheiden wie viel sie trinken? Ich finde viele Jugendliche können das noch nicht richtig einschätzen wie viel sie vertragen. Könnten sie es würde man mit 14 Volljährig und auch voll strafmündig. Schutz vor Strafen auf der einen und Privilegien wie Freiheit auf der andern sind hier nicht vereinbar.

Schreibe einen Kommentar zu Chris Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.