Ich bin schon lange auf der Suche nach politischen Aktivitäten, die möglichst effektiv sind, am meisten verändern, am ehesten revolutionäres Potential haben. Wenn ich stattdessen lokal arbeite, oder zu einer spezifischen Sache, dann werfe ich mir oft vor, damit meinen Anspruch auf gesamtgesellschaftlichen Wandel aufzugeben. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass das ein grundsätzlich falscher Gedanke ist.
Vorneweg: Emanzipatorischer Wandel bezieht sich für mich auf Menschen und soziale Zusammenhänge; es geht nicht darum, welche Pflanzen wo wachsen, welche Gebäude wo stehen oder wie viel von welchem Stoff in der Luft ist. Was einen Baum pflanzen zu einer befreiten Gesellschaft beiträgt, bestimmt der soziale Rahmen in dem er gepflanzt und gepflegt wird, nicht die Art des Baumes, und auch nicht sein Standort. Ein gesprengter Knast im luftleeren Raum ist kein Schritt zu einer Gesellschaft ohne Knäste – eine militante Bewegung, die Knastsprengungen vornimmt, vielleicht aber schon.
»Mehr (politisch) schaffen« kann dann also heißen, andere Menschen stärker zu beeinflussen. Zu denken, dass eine bestimmte politische Handlung andere besonders stark beeinflusst, ist meiner Meinung nach aber eine falsche Wahrnehmung. Sie beruht darauf, die Voraussetzungen, den Kontext oder den Beitrag anderer zu unter-, oder das Ergebnis zu überschätzen. Aber selbst wenn es solche besonders wirksamen politische Handlungen gäbe, wären sie für mich nicht von Herrschaft über andere zu unterscheiden. Das ist der für mich zentrale und einigermaßen neue Gedanke: Durch politische Handlungen andere Menschen stärker beeinflussen zu wollen ist Streben nach Herrschaft über andere.
»Mehr (politisch) schaffen« kann auch heißen, eine größere Menge Menschen zu beeinflussen. Dieses Ziel finde ich auch problematisch, da es sehr einseitige Beziehungen und Kommunikation voraussetzt, und eine Gesellschaft, in der eine einzelne politische Handlung für viele oder alle Menschen ohne weitere Vermittlung oder Aushandlung (eine ähnliche) Bedeutung hat. Ich denke aber nicht, dass wir in einer solchen Gesellschaft leben, und ich strebe es auf jeden Fall nicht an.
»Mehr (politisch) schaffen« kann aber auch heißen, individuell mehr Arbeit zu investieren, oder auch: mehr Selbstausbeutung und weniger Nachhaltigkeit. Auch nicht schön.
Zusammengefasst basiert die Vorstellung, ich könnte »mehr schaffen«, also – zumindest für mich – auf Annahmen, die ich falsch oder nicht erstrebenswert finde: Herrschaft über andere, einseitige Beziehungen und Einbahnstraßenkommunikation in eine Menge von Nicht-Individuen, oder Selbstausbeutung. Ich finde es für mich wichtig, an diesem Beispiel zu erkennen, wie sich gesellschaftliche Machtmechanismen die ich eigentlich bekämpfe in meiner Ideenwelt niederschlagen.
Unabhängig davon, worauf genau sie beruht, ist die Illusion, ich könnte irgendwie politisch effektiver sein als ich es bin, aber auch eine (All-)Machtphantasie. Wie andere Machtphantasien hat sie auch die Funktion, mich in meiner relativen Untätigkeit und realen Machtbeschränktheit zu beruhigen und tatsächliche oder tatsächlich mögliche politische Handlungen abzuwerten.
Beim Schreiben hab ich mich gefragt ob andere Menschen überhaupt diesen Gedanken von »mehr schaffen müssen« haben. Wie ist das bei euch so, beschäftigt euch die Frage?