Manchmal ist die Realität halt schneller: Noch vor wenigen Wochen wurde uns angehenden Informatikern in „IT und Gesellschaft“ ein Szenario als Gedankenspiel vorgestellt, in dem Schulkinder per Biometrie in der Kantine bezahlen sollten. Zwar wollte die evangelische Kindertagesstätte „Zion“ in ihrem Pilotversuch nur die Fingerabdrücke der Eltern sammeln, dafür war der Zweck dieser Datenerfassung um so schockierender: Der „nachmittägliche Ablauf beim Abholen“ sollte „erleichtert“ werden. Außerdem könne damit „gewährleistet werden, dass kein Unbefugter die Kinder mitnimmt“. Glücklicherweise werden auch in evangelischen Kitas nicht regelmäßig Kinder getauscht, und auch verloren gehen sie eher selten. Genauer gesagt gab es in den 16 Kitas des Trägers lediglich einen Vorfall vor zwei Jahren, bei dem mehrere Kinder eigenständig die Kita verlassen haben (Quelle).
Die Eltern, von denen „ein Großteil […] dem Vorhaben bereits zugestimmt“ haben soll, waren gestern früh doch recht überrascht von der Aktion, gegen die die Senatsjugendverwaltung „keine Bedenken“ hat. Allerdings fanden einige das Vorhaben sogar gut und gaben bereitwillig ihren Fingerabdruck ab. Anders ging es glücklicherweise dem Datenschutzbeauftragten der evangelischen Kirche in Berlin, der das Projekt erstmal auf Eis legte.
Pikantes Detail ist das Vertriebsmodell des Herstellers der Fingerabdruckscanner, die dort zum Einsatz kommen sollten. Die Berliner Zeitung schreibt: „[Das Unternehmen] hatte der Kita das Gerät zu Billigkonditionen angeboten. Lediglich die Wartungskosten stellt die Firma in der Testphase in Rechnung. Auch in anderen Kitas waren die Vertreter unterwegs.“ Die Zuständige in der Kita hat „an rechtliche Schwierigkeiten […] nicht gedacht“, sondern sich „auf eine schriftliche Erklärung der Firma verlassen“. Und wieder werden einem aufstrebenden Unternehmen mit modernen Produkten und Marketingstrategien Steine in den Weg gelegt. Dem Fortschritt auch, klar.
Mit der Aktion hat sich die Kita unglaublich blamiert: Nicht nur durch die völlige Ahnungs- und Sorglosigkeit der Verantwortlichen, sondern auch durch die Bankrotterklärung, den einfachen Vorgang der Kinderübergabe nicht geregelt zu kriegen. Schockierend ist das Klima in Politik und Gesellschaft, das vermuten lässt, dass irgendwann tatsächlich solche Vorhaben umgesetzt werden. Rechtlich möglich ist es vermutlich jetzt schon. Zu kritisieren ist nicht nur der inhaltliche Vorgang, sondern auch die Durchführung ohne vorherige Evaluierung der eingesetzten Technik oder Befragung der betroffenen Eltern. Auch bei kirchlichen Trägern ersetzt Technikgläubigkeit kritisches Denken und Kompetenz.
Links
- Tanja Buntrock, Sigrid Kneist und Julia Regis: „Kind abholen – nur gegen Fingerabdruck“ im Tagesspiegel
- Stefan Strauss: „Kita bleibt ohne Überwachung“ in der Berliner Zeitung
- Jenny Marrenbach: Kind nur gegen Fingerabdruck“ in der taz
Es ist immer wieder erschreckend was für eine Technikgläubigkeit es gibt. Da wird schon versucht die nicht vorhandenen Probleme mit (völlig ungeeigneter und potentiell gefährlicher) Technik zu lösen.
Big WTF.