Am 2. und 3. Mai fand in Berlin das erste Politcamp Deutschlands statt. Im Radialsystem V sollte Barcamp-artig über Politik, Web und insbesondere alle Schnittpunkte dieser beiden Themen diskutiert werden.
Der Samstag begann mit der Twitter-Session, in der sich Volker Beck (Grüne), Frank Schäffler (SPD), Matthias Groote (FDP) und Nicole Simon über twitternde Politiker unterhielten. Mir vermittelte sich während des gut dreiviertelstündigen Gespräches nicht, was Mikroblogging wesentlich von anderen Propagandamitteln unterscheidet; Volker Beck bestätigte das Fehlen einer Besonderheit indirekt, indem er behauptete, der Rückkanal „Twitter“ wäre nur verwendbar, weil er noch nicht zu überfüllt sei – mit mehr Nutzern müsse auch dieses Medium vom Büro übernommen werden. Damit ist Twitter aus meiner Sicht sogar kontraproduktiv, da es nur einer Elite von Personen die Beteiligung erlaubt, die auch so leicht partizipieren. Dass das Entstehen einer anderen Politikkultur durch Mikroblogging gar nicht gewünscht ist, machte Nicole Simon nebenbei deutlich, als sie die „Gefahr“ beschwor, ungeschulte Parteimitglieder könnten „gefährliche“ Aussagen treffen.
Diese beiden Themen beschäftigten mich immer wieder auf dem Politcamp. Einerseits: Wie lässt sich das Web zur Überwindung von Barrieren (Vereinfachung von Partizipation durch Reduzierung des zeitlichen Aufwands und einfache Zugänglichmachung von Möglichkeiten) nutzen, ohne neue (soziale, demographische, technische) einzuführen. Andererseits die Feststellung, dass selbst die anwesenden Parteipolitiker und -mitarbeiter überwiegend daran interessiert sind, Personen im Internet mit ihrer Propaganda zu versorgen.
Ein wichtiges Thema waren Statistiken; welche Themen, welche Personen, welche Parteien wurden in den großen sozialen Netzwerken und Blogs wie wahrgenommen oder überhaupt behandelt? Die Ergebnisse – so sie vorgestellt wurden – waren wenig überraschend: Die Parteien haben das Internet kaum entdeckt, am Weitesten vorne sind Grüne, SPD und FDP. Spezifische Onlinekampagnen sind nicht vorhanden, die Reichweite der Parteiangebote ist eher gering.
In einer der wenigen inhaltlichen Sessions stellte Alvar Freude Internetsperren und die Kritikpunkte in hervorragender Klarheit dar. Ein Administrator von Strato wusste zu berichten, dass seit 2000 weniger als ein halbes Dutzend Fälle von Kinderpornografie auf ihren Servern vorkamen. Alle wurden von zufälligen Besuchern gemeldet. Das BKA war ebenso wie andere Polizeibehörden nie präsent und meist ablehnend, wenn es um Strafverfolgung ging.
Zur politischen Partizipation über das Internet gab es eine Session, in der e-demokratie.org vorgestellt wurde. Zu Themen wie der Hamburger Living Bridge wurden Argumente in Wikis gesammelt, wobei jede Position ein eigenes Wiki bekam. Auch Bürgerhaushalte wurden so realisiert. Insgesamt scheinen die Angebote aber nur von wenigen genutzt zu werden.
In „Online Bürgerdialoge mit 100.000 Menschen und mehr“ wurde ein großes Projekt zur Erstellung einer freien Software für politische Diskussionen im Web vorgestellt. Interessant war die Betonung des Bedarfs für offene Protokolle, freie Software und verteilte, offene Systeme. Dabei wurde das W3C wegen des Vertretens kommerzieller Interessen angegriffen. Das von Wissenschaft und Behörden mitgetragene Projekt wirkt ambitioniert, ob das Ergebnis insbesondere die nötige Einfachheit der Bedienung bieten wird ist jedoch fraglich. Als Kommunikationsmittel sollen beispielsweise Wikis, Mailinglisten und Open spaces unterstützt werden; der Referent erwähnte auch das Interesse, Dialogmethoden aus und für anderen Kulturkreisen anzubieten. Die interessante und offene Diskussion beschäftigte sich mit diversen, mal technischen, mal soziologischen Themen.
In der Session „Jugend und Mobilisierung“ wurde sehr schnell als Konsens festgestellt, dass Jugendliche sich zu wenig politisch engagieren. Als wichtiger Grund wurden die Themen klassischer Politik genannt, insbesondere die fehlende Beschäftigung mit für Jugendliche relevante Themen. Als positiv wurden Konzepte wie Onlinekampagnen und -petitionen genannt. Diese würden im Erfolgsfall das Gefühl geben, politisch Einfluss nehmen zu können, und so zu weiteren Aktivitäten motivieren. Bedenklich – wenn auch nicht neu – war die Überlegung, dass Bedrohungen wie die geplanten Internetsperren nötig sind, um Menschen zu politischem Engagement zu mobilisieren.
In einer sehr freien Session auf dem wunderschönen Deck des Radialsystem V konnte mich der SPD-Spitzenkandidat für Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, davon überzeugen, dass es wirklich angenehme Sozialdemokraten, die zumindest die richtigen politischen Ideen haben, gibt. Ich frage mich nur, wo das zwischen nettem Gespräch und Amt hängenbleibt.
Die letzte Session war die Vorstellung des Projekt Uwe. Ein Obdachloser aus Hamburg wird von einem Blogger aus Hamburg unterstützt. Schade war einerseits, dass die Anwesenden lediglich Obdachlosigkeit als das Problem dargestellt haben, obwohl es einerseits Menschen gibt, die diesen Lebensstil freiwillig wählen, und es andererseits dahinterstehende Ursachen gibt. Ideen, wie das Leben für die Betroffenen angenehmer gestaltet werden könnte öder Vorschläge zur Bekämpfung der Ursachen gab es entsprechend nicht. So bleibt das Projekt eine nette Einzelaktion, die vielleicht einem oder wenigen helfen kann.
Selbst für mich nicht besonders an Parteipolitik Interessierten war das Politcamp sehr anregend – umso verwunderlicher, dass anscheinend viele Besitzer einer der 600 Eintrittskarten nicht anwesend waren. Anders kann ich mir die große Leere die insbesondere im Saal bei allen Veranstaltungen herrschte, nicht erklären. Unter den Anwesenden hatten Grüne und SPD klar die Mehrheit, einige SPÖler waren auch nach Berlin gereist. WLAN und Strom waren wie üblich Mangelware, dafür gab es leckeres, kostenloses, veganes Essen und auch Wasser umsonst.
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