„Die Meinungsfreiheit als Sondermüll“ kritisch gelesen

Udo Vetter hat mal wieder was geschrieben. Und da es lang, von Udo Vetter, und über Internetsperren ist, wird es ordentlich durch die Netzwelt gefeiert. Heut retweetet halt nicht Generation RMS, sondern Generation Download, und die basiert auf Kopieren. Aber hier soll es nicht um die Fähigkeit zum kritischen Lesen gehen, sondern die praktische Anwendung dieser an Vetters Text geübt werden. Er bezieht sich darin auf ein Interview mit von der Leyen, in der sie über eine Ausweitung der Netzsperren bspw. auf „Nazipropaganda“ nachdenkt.

Schon der Titel – „Meinungsfreiheit als Sondermüll“ – stellt die Behauptung auf, unter dieser Ausweitung würden Inhalte leiden, die in Deutschland unter die „Meinungsfreiheit“ fallen, also legal sind. Damit wird sich einerseits positiv auf deutsches Recht bezogen, in dem ihm zugebilligt wird, mit dem Konzept der „Meinungsfreiheit“ zwischen „freien“ und „verbotenen“ Meinungen unterscheiden zu können (In anderen Zusammenhängen wie dem Urheberrecht wird dem deutschen Recht keine solche Definitionshoheit über im Web verbreitete Inhalte zugerechnet), andererseits aber die Gefahr gesehen, Internetsperren könnten genau diese „Meinungsfreiheit“ einschränken.

Vetter beginnt seinen Text mit einer kurzen Darstellung des Themas und des Interviews. Dabei werden Begriffe wie „Grundgesetz“, „Robocop“ und „Zensur“ frei verwendet, um eine klare Verteilung von Recht und „Unrecht“ zu suggerieren. Eine Exekutive, die im Internet „mit eisernem Besen säubert“ (und dabei zum Beispiel gegen Urheberrechtsverletzungen vorgeht), ist also ein Grundgesetz-widriger Zensor, der in Polizeistaat-Manier die „Meinungsfreiheit als Sondermüll entsorgt“. Es folgen Beispiele, die deutlich machen sollen, dass das Internet keineswegs ein „Rechtsfreier Raum“ sei; ganz im Gegenteil seien Beleidigungen und Verleumdungen leicht zu verfolgen. So schafft Vetter eine Aufteilung in „gute“ Rechtsbrüche wie Urheberrechtsverletzungen oder „Nazipropaganda“ (in keinem Fall möchte ich andeuten, Vetter würde damit sympathisieren), die zu verhindern einer Grundgesetz-Verletzung gleichkommt, und „schlechten“ Rechtsbrüchen, deren teilweise Verfolgbarkeit im Internet als Nachweis für eine Gültigkeit deutschen Rechts im Web herhalten kann.

Ein folgender Exkurs über den Begriff der „Menschenwürde“ und seine missbräuchliche Umdeutung vom Schutzrecht gegen Staatsorgane zu einem allgemeinen, vom Staat zu schützenden Gut ist eine brauchbare Kritik an von der Leyens Sprache, geht aber am inhaltlichen Kern der Sache vorbei. Daher kehrt Vetter zurück zu Beispielen, die die Durchsetzbarkeit deutscher Gesetze im Internet weiter bestätigen sollen. Er behauptet sogar, dass „gerade bei Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung nach meiner Erfahrung ebenfalls kein rechtsfreier Raum existier[e]“. Schließlich präsentiert Vetter eine Erklärung dafür, dass Internetsperren trotz dieser möglichen Strafverfolgung angestrebt werden: „Was mit dem Strafgesetzbuch nicht greifbar ist, aber trotzdem das Volksempfinden […] stört, soll raus aus dem Internet. Oder jedenfalls nicht mehr sichtbar sein.“ Hier wirft er den Befürwortern von Internetsperren das vor, was er gerade selbst an den Tag gelegt hat: ein Rechtsempfinden, das nicht mit deutschen Gesetzen übereinstimmt.

Udo Vetter zeichnet ein Bild des Internets als seiner Moral entsprechend „sauberer Raum“ mit ordentlicher Strafverfolgung, der jedoch von „Zensoren“ und ihrer spießig-bürgerlichen Moral bedroht wird. Er kritisiert Internetsperren also für etwas, für das sie nicht verantwortlich sind: die Moral der Herrschenden. Gleichzeitig wird das (deutsche) Recht, dem einige der kritisierten Rechtsauffassungen in Wahrheit entspringen, positiv bestätigt. Neben seiner eigenen Moral, als Rechtsmaßstab ebenso untauglich wie meine, legt er seiner Kritik auch inhaltliche Aussagen zugrunde, die ich nicht bestätigen kann: Weder wären ausschließlich von der „Meinungsfreiheit“ gedeckte Positionen von einer Ausweitung der Internetsperren betroffen, noch sind Beleidigungen, die ohne deutsches Impressum oder deutschen Serverstandort auskommen, ernsthaft verfolgbar.

Eine umfassende Darstellung meiner Position zum Thema ist in „Internetsperren – You‘re doing it wrong!“ und „Der Freiraum Internet“ sowie anderen Beiträgen des Stichworts „Freiraum Internet“ nachlesbar.

4 Antworten auf „„Die Meinungsfreiheit als Sondermüll“ kritisch gelesen“

  1. Ein folgender Exkurs über den Begriff der „Menschenwürde“ und seine missbräuchliche Umdeutung vom Schutzrecht gegen Staatsorgane zu einem allgemeinen, vom Staat zu schützenden Gut ist eine brauchbare Kritik an von der Leyens Sprache, geht aber am inhaltlichen Kern der Sache vorbei.

    Eben jenen Exkurs habe ich als Zentrum seines Textes gesehen (ja, auch ich habe ihn verlinkt). Du hast Recht, indem du die Einzelfälle kritisierst, mit denen Vetter seinen Text garniert. Aber der Kern bleibt doch richtig, nämlich dass es problematisch ist, wenn der Staat sich direkt auf die Grundrechte beruft (jedenfalls habe ich als Nichtjurist das so verstanden).

    Am Thema Netzsperren geht der Text auch nicht komplett vorbei. Richtig, kein VdL-Kritiker verteidigt im Namen der Meinungsfreiheit die Inhalte, deren Sperrung das Ziel ist. Gleichwohl ist die Meinungsfreiheit durch die unkontrollierte Sperrung bedroht. Diesen feinen Unterschied zu unterschlagen und alle Kritiker zu Kinderporno-Sympathisanten zu machen, hat nicht funktioniert. Vetter begibt sich im Prinzip doch einen Schritt weiter: Was, wenn als nächstes Inhalte gesperrt werden sollen, die man doch im Namen der Meinungsfreiheit verteidigen möchte? Und dazu ist eben sein Fazit: Die Regierung darf nicht verschiedene Grundrechte als Handlungsanweisung gegeneinander ausspielen. Das macht für mich Sinn, auch wenn der aktuelle Stand des verabschiedeten Gesetzes eher auf anderen Ebenen angreifbar ist.

    Also, sicher sind viele Absätze eher nette Geschichten, die ein stimmiges Bild zeichnen sollen. Aber findest du die Kernthese auch so kritisch?

    1. Hm; was jetzt Kern des Textes und was Exkurs ist mag ich nicht beurteilen. Jedenfalls hat Vetter mehr zu kritisieren als nur Wortwahl und Bezug auf Grundrechte, nämlich auch das, was mit diesem Bezug legitimiert werden soll. Spätestens an dieser Stelle wird seine Kritik löchrig und inkonsequent.

      Was genau Vetter von Meinungsfreiheit geschützt und von Internetsperren bedroht sieht macht er nicht deutlich, aber ich habe nicht den Eindruck, dass er (selbst im Sinne eines erweiterten Gesetzes missbräuchliche) Sperrungen von Fefe oder Annalist meint. Zwar nennt er später durchaus übereifrige Exekutive als Bedrohung – was genau solche Fälle darstellen würden –, in den ersten drei Absätzen klingt das aber doch anders. Dort wird nicht eine missbräuchlich, sondern eine gründlich vorgehende Exekutive kritisiert.

      „Die Regierung darf nicht verschiedene Grundrechte als Handlungsanweisung gegeneinander ausspielen.“ – Selbstverständlich darf, und muss sie das. Grundrechte dürfen für alles und jeden eingeschränkt werden. Ein Plädoyer für unbegrenzte Demonstrationsfreiheit oder das völlige Verbot der Telefonüberwachung habe ich wirklich nicht in dem Text gelesen.

      Ich denke, dass Vetter ebenso wie nahezu alle Protagonisten von Fefe bis Netzpolitik nicht konsequent genug ist. Gerade die unaufgelöste Ambivalenz aus affirmativem (also bestätigendem) Bezug auf deutsches Recht (Grundrechte, Meinungsfreiheit, Zensur) und praktischer Opposition in vielen einzelnen Punkten stört mich ziemlich. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, Rechtsstaat würde schon klappen, wenn er nur richtig gemacht würde. Und damit sind wir wieder bei den unterschiedlichen Rechtsauffassungen und Moralvorstellungen, wo kaum eine besser als die andere ist. Meinetwegen können die Leute ja gerne ihre Auffassung vertreten, aber bitte hinreichend ehrlich als eine von mehreren denkbaren (gerne auch als die beste), und nicht als „die richtige“ gegenüber „deren Unrecht“.

      PS: Und schließlich macht es mir einfach Spaß, so einen Text gründlicher als für mich üblich zu lesen. Vielleicht versteht ja irgendwann jemand, dass „wir“ genauso wenig nur lautere Mittel verwenden wie „die“.

  2. Vielleicht versteht ja irgendwann jemand, dass „wir“ genauso wenig nur lautere Mittel verwenden wie „die“.

    Das würde ich in der Tat jetzt schon unterschreiben. „Wir“ stürzen uns begeistert auf jeden Satz, den man auch nur im entferntesten als Provokation auslegen kann. Und sind damit mittendrin in der allgemeinen hysterischen Aufmerksamkeitsökonomie.

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