Die letzten Tage habe ich damit zugebracht, die erkleckliche Menge ungelesener Blogbeiträge in meinem Feedreader aufzuholen. Das führte leider zu einer ganzen Menge Ärger über die deutsche Blogszene, die sich gerade für unglaublich mächtig und ihre Themen für herausragend wichtig hält – Dazu kommt noch eine gehörige Portion beleidigt sein wegen dieser fiesen Politiker. Als wäre in Deutschland bis vor zwei Wochen alles prima gewesen. Dieser Egozentrismus langweilt mich, und ich möchte mich jetzt auch nicht weiter mit ihm beschäftigen. Worauf ich aber eingehen möchte ist eine inhaltliche Sache, die letzte Woche zu Internetsperren gelaufen ist.
Es geht um Herfried Münklers Kolumne „Netz-Anarchos und trojanische Pferde“ – mit Sicherheit keine Glanzleistung des Politikprofessors, aber die Reaktionen von Netzpolitik.org und Fefe haben mich wirklich geärgert. Es geht los mit Markus Beckedahls „Herfried Münkler kämpft gegen das Internet“. Als erstes wird dort Münklers Satz „Das Gesetzesvorhaben sollte bloß sicherstellen, dass das, was für Printmedien gilt, auch im Internet gelten soll: dass der Erwerb von Kinderpornografie unter Strafe steht.“ kritisiert. Ich weiß nicht, was mit dem Gesetzesvorhaben wirklich erreicht werden soll. Klar ist allerdings, dass der Erwerb von Kinderpornographie im Internet praktisch nicht sanktioniert ist. Jede Person kann ohne rechtliche Folgen fürchten zu müssen solches Material erreichen. Wenn noch die Konzepte der „Jugendpornographie“ und „Anscheinsminderjährigkeit“ mit einbezogen werden, und das werden sie, dann möchte ich sogar behaupten dass nahezu jeder Internetnutzer bereits solche Abbildungen gesehen hat. Beckedahl antwortet jedoch auf diesen Satz mit „Der Erwerb von Kinderpornographie ist schon lange in Deutschland verboten!“ Das ist nicht nur rein formal (Verhältnis von „Verbot“ und „unter Strafe stehen“) eine unpassende Antwort, er ignoriert damit auch den Umstand der praktischen Straffreiheit. Nach getaner Arbeit sieht sich Beckedahl von weiterer inhaltlicher Argumentation freigestellt und versucht sich in einem Fefe-Abklatsch. Nur dass letzterer meistens weiß wann es ordentliche Hetze braucht und das dann auch ordentlich durchzieht.
Leider stellt seine Münkler-Reaktion eine erwähnenswerte Ausnahme zu dieser Behauptung dar. Los geht es im klassischen Fefe-Stil mit einer Verschwörungstheorie nebenbei, denn es handelt sich bei Münklers Text um nichts weniger als einen Teil der „Desinformationskampagne der gleichgeschalteten Presse“. Jeden anderen Blogger würde ich dafür auslachen wie lange er gebraucht hat um zu erkennen wie Presse im Kapitalismus funktioniert, aber Fefe weiß das glücklicherweise und bezieht seine Kritik nicht auf die Internetsperren-Diskussion im Speziellen. Zum Inhalt hat Fefe aber auch etwas zu sagen, und zwar meint er in der Aussage „dass Eigentum im Internet nichts gelten würde“ eine der „üblichen Lügen“ erkannt zu haben. Als einziges Argument zu dieser Aussage schreibt Fefe „Domains kosten Geld“. Allein schon weil ein Großteil des Internets gar nicht auf eigenen Domains stattfindet ist dieser Hinweis unverständlich, vor allem aber steht die behauptete Aussage auch gar nicht in dem Text. Was Münkler wirklich geschrieben hatte, war: „Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung durch alle zugänglich sein“. Nun, genau diese Auffassung steht hinter dem Konzept der freien Software! (Ein Konzept, das beispielsweise in dem von Markus Beckedahl mit betriebenen Newthinking Store an der Wand verewigt ist) Und selbstverständlich verbindet sich dieser Gedanke oft mit einer extremen Abneigung gegen Eingriffe in die Freiheit des Internets. Ebenso wie Beckedahl stört sich auch Fefe an einer ungeschickten Formulierung, die andeutet, es würde sich bei den Kritikern der Netzsperren ausschließlich um Kriminelle, Anarchisten und Kommunisten handeln. Wie Münkler in einer Reaktion auf die Reaktionen deutlich macht, meinte er lediglich, dass sich auch solche Personen unter die Menge gemischt haben.
Paradoxerweise leugnen die lautesten Verteidiger des freien Internets all das, was den Freiraum Internet ausmacht. Selbstverständlich geht es da um Pornographie, um Glücksspiele, um Linksradikale und Nazis. Selbstverständlich ist das Medium Internet ein Medium des Kopierens, und niemand dort schert sich um Urheberrechte. Auch klassische Medien nicht, auch Bildagenturen nicht, und erst recht keine Blogger. Die einzigen Leute dort, die sich mit Urheberrechten beschäftigen, sind die Freie-Kultur-Dogmatiker, die es versuchen abzuschaffen.
> „Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich
> mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten
> die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben
> werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung
> durch alle zugänglich sein“. Nun, genau diese Auffassung steht
> hinter dem Konzept der freien Software!
Bei dem Überbegriff „freie Software“ wird nicht das Eigentumsrecht abgegeben! Es ist sogar so das Lizenzen wie die GPL es erlauben dein Werk auch anderweitig zu lizenzieren (sog. Duale-Lizenzen). Daher kann doch nicht davon die rede sein das es kein Eigentum gäbe. Die Frage ist einfach nur ob man andere an seinem Werk teilhaben lässt oder nicht – mit mehr oder weniger Auflagen (Stichwort: fairness). Daher kann ich bei dem Vergleich nicht ganz zustimmen. Zumal ja auch nicht alle Software im Internet frei (Open Source) ist. Es wird ja niemand „Enteignet“!
Hinzu kommt das vorallem im Software Bereich das eigentliche Programm (der Quellcode) in vielen (durchaus erfolgreichen) Konzepten kaum eine Rolle spielt. Denn hier geht es um: Support, Schulung, Dokumentation, Spezial-Anpassung und neuerdings immer häufiger um Hostig (Stichwort: ASP; Cloud; SAS).
Das lässt sich nicht wirklich auf Videos, Musik, Bilder und Texte anwenden.
Einer der grundlegenden Texte zu freier Software heißt „Why Software Should Not Have Owners“ (http://www.gnu.org/philosophy/why-free.html). Ebenso wie der Titel kritisiert auch das Essay ganz eindeutig Eigentumsverhältnisse an Software. Was du meinst, ist „Open Source“. Deinen Bezug auf Mehrfachlizensierung verstehe ich nicht – dieses Konzept hat vor allem zwei Aufgaben: Probleme mit inkompatiblen freien Lizenzen zu vermeiden und (gegen Gebühr) eine kommerzielle Weiternutzung ohne die Einschränkung des Copylefts oder mit Gewährung einer Garantie zu ermöglichen. Letzteres kann kaum als Bestandteil des Konzepts der freien Software bezeichnet werden.
Dein Bezug auf alternative Erwerbsmöglichkeiten bestätigt, dass Eigentumsverhältnisse keinen Wert in einer digitalen Gesellschaft haben, selbst für kommerzielle Interessen. Wieso lässt sich das nicht auf andere Werke übertragen?
Ich habe nicht behauptet, dass es im Internet kein Eigentum gäbe – ebensowenig hat Münkler diese These aufgestellt. Viel mehr sagt er, dass „[sich diese] Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr […] mit der Auffassung [verbindet]“. Es geht um Positionen und Auffassungen, und da muss ich ganz klar sagen: Ja, bei mir verbindet sich eine Ablehnung von Zensur mit einer Ablehnung von Eigentum [in der digitalen Welt]. Ja, bei Markus Beckedahl scheint sich eine Ablehnung von Zensur mit einer Ablehnung von Eigentum [in der digitalen Welt] zu verbinden. Ja, auch Fefe mag weder Zensur noch Eigentum [in der digitalen Welt]. Nichts anderes behauptet Münkler – der Unterschied ist nur, dass er das kritisch sieht und ich mich darüber freue.
Ihr Blogbeitrag hat ja wenig Kommentare. Vielleicht liegt es an der undifferenzierten und wenig kentnissreichen Argumentation?
Sie Schreiben:
„Ich weiß nicht, was mit dem Gesetzesvorhaben wirklich erreicht werden soll. Klar ist allerdings, dass der Erwerb von Kinderpornographie im Internet praktisch nicht sanktioniert ist.“
Sie haben also keine Ahnung und behaupten gleichzeitig der Erwerb von KiPo im Internet sei nicht sanktioniert?
Wie kommen Sie darauf?
Es ist sanktioniert! Es muss nur unter rechtsaatlichen Gesetzen ermittelt und bewiesen werden, daß der Erwerb statt gefunden hat. Das ist theoretisch und auch praktisch genau derselbe Weg wie ausserhalb des Netzes.
Die Polizei ermittelt nach Anfangsverdacht. Erhärtet sich dieser kann eine Hausdurchsuchung veranlasst werden. Wird dann entsprechendes Material gefunden, sind entsprechende Beweise für eine Urteilsfindung vorhanden.
Sollten die Materialien durch den Internetnutzer nicht abgespeichert worden sein (was selbst dann mit forensischen Methoden u.U. nachgewiesen werden kann!!!), dann muss eben auf anderen Wegen der Erwerb bewiesen werden.
Ja, ich behaupte, dass Material, welches in Deutschland als „kinderpornographisch“ bewertet wird, über das Internet ohne Sanktionen erworben werden kann. Es ist mir recht egal, was da rechtlich für Schranken bestehen (dies sind selbstverständlich dieselben wie bei sonstigem Erwerb); was mich – und Juristen bei der Bewertung der Effektivität – interessiert, ist, ob diese rechtliche Situation praktische Einschränkungen, sei es durch Verhinderung oder Abschreckung, hervorruft.
Diese Einschränkungen liegen nicht vor. Kein 4chan-Besucher wird sich von der rechtlichen Lage abschrecken lassen, kein einziger 4chan-Server wird wegen der rechtlichen Lage in Deutschland abgeschaltet. Auf 4chan wird aber Kinderpornografie verbreitet. Weitere Beispiele könnten genannt werden, siehe auch meinen Text „Pornographie im Bundesnetz“.
ich habe zwar keine Ahnung was 4chan sein soll vermeintlich eine Quelle für KiPo-Material). Dennoch sollten sie mal versuchen die bestehende „reale“ Welt und deren Gesetze auf die virtuelle zu übertragen! Welchen KiPo-Vergewaltiger hindert – bitteschön – ein Gesetz an seinem tun? Hat der Kinderschänder in Österreich sich von der dortigen Gesetzeslage abhalten lassen?
Offensichtlich nicht.
Das soll jetzt nicht heissen „lasst mal laufen, ist alles gut“, aber andersherum ist es doch so, daß in der realen- wie auch virtuellen Welt es „schmutzige, wiederliche und verabscheuungswürdige“ Ecken gibt. Diese sind vom Gesetz verboten und unter Strafe gestellt. Richtig so!
Kein Jurist, kein Kriminalbeamter und auch kein logisch denkender Mensch wird jedoch ernsthaft behaupten, er könne SÄMTLICHE schmutzige Ecken dieser Welt sauber bekommen. Seltsamerweise, meinen nun Sie, dies sei in der virtuellen Welt möglich und geboten. Das ist einfach unrealistisch und überzogen.
Sinnvoller ist es meines erachtens erst einmal in der realen Welt soweit als möglich sauber zu machen, dann ist auch die virtuelle Welt „sauberer“.
Der von mir verlinkte Wikipedia-Artikel dürfte – was 4chan angeht – Klärung bringen.
Zu dem Rest sag ich noch mal kurz: Rechtliche Schranken, die im echten Leben einen deutlichen Effekt haben (durch Verhinderung oder Abschreckung), wirken im Internet deutlich weniger. Beispiele habe ich genug genannt. Daran ändern auch einzelne Gegenspiele nichts.
Ich finde man sollte erstmal schauen, dass man in der „realen“ Welt für Ordnung sorgt… Ordnung in der Form, dass nicht jeder zweite hingehen kann und die Grundsätze unserer Gesellschaftsordnung unter dem Deckmantel der Ordnung zersprengen kann.