Gestern fand die mittlerweile dritte Demonstration unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ in Berlin statt.
Die Teilnehmerzahl sank gegenüber dem letzten Jahr vermutlich deutlich, es ist von rund einer Halbierung auszugehen. Ich selbst habe mit einer wesentlich größeren Demonstration gerechnet – für mich ein Zeichen, dass ich auch der Selbsttäuschung des Dunstkreises um die Piratenpartei erlegen bin. Die Piratenpartei war naturgemäß stark vertreten, auch Grüne, FDP und Linke waren da. Ansonsten sammelten sich neben den großen Organisationen (Gewerkschaften, CCC, …) auch einige Verschwörungstheoretiker und eine Vielzahl linksradikaler Zeitungen, Parteien und Organisationen. Das Bild wurde aber von den Parteien geprägt.
Der antikapitalistische Block aus dem Spektrum der antiimperialistischen ARAB und ALB hatte über 1000 Teilnehmer und skandierte über weite Strecken Parolen, die jedoch abgesehen von den 129a-Sprüchen nur leidlich zum Thema passten. Viele bezogen sich auf die im dreireihigen Spalier den Block begleitenden Polizisten. Der praktisch nur aus einem Wagen bestehende Block der Piratenpartei Bayern wurde bereits nach einem Drittel der Demonstration überholt. Am Ende zog der antikapitalistische Block auch am Wagen des CCC vorbei und am Block der Grünen. Hier gab es wohl erste Festnahmen und Gerangel um den Lauti.
Ein großer Teil des Blocks bewegte sich später zu der Grünfläche an der Linkstraße. Versuche der Polizei, die Leute von der Grünfläche zu drängen, schlugen fehl, woraufhin die Beamten in Kleingruppen am Rand umherstanden. Die Stimmung war trotzdem entspannt, auf der Bühne spielte Mono & Nikitaman. Der Lauti von ARAB und ALB wurde währenddessen vor der Grünfläche durchsucht, wie ich später erfuhr.
Nach einer halben Stunde stürmte ein Polizeitrupp unvermittelt auf den Hügel, kehrte aber nach einer kurzen Streiterei zurück. Der Hügel leert sich deutlich.
Gegen halb acht gab es eine Festnahme direkt vor dem ARAB-/ALB-Lauti; die Festgenommene wurde ohne Vorwarnung aus einem Interview gezerrt. Die Polizisten reagierten aggressiv auf die rund 20 Personen, die sich daraufhin versammelten. Ein Fahrradfahrer wurde nach dem er Anzeige erstatten wollte äußerst brutal festgenommen. Ein von einem CCCler mit HD-Kamera aufgenommenes Video von der Festnahme (auf dem ich viel zu sehen und zu hören bin) macht gerade die Runde durch die deutsche Blog- und Medienlandschaft. Später wird ein Jugendlicher festgenommen, weil er sich nach einer Dienstnummer erkundigte.
Die Demonstration selbst war überwiegend frustrierend; der Großteil der Teilnehmer waren parteipolitisch eingebunden und vermutlich auch mehr an Parteipolitik interessiert. Die Piratenpartei war bereits kaum von den Grünen zu unterscheiden. Die Teilnehmerzahl war erstaunlich gering. Der radikalen Linken gelang es nicht, ihre Themen verständlich mit den Interessen der anderen Teilnehmer in Verbindung zu bringen. Positiv zu erwähnen ist das Auftreten und Engagement des Chaos Computer Club. Dass ich mal auf einer Demonstration mit der FDP sein würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Dass umgekehrt die FDP an einer Demonstration, auf der „die militante gruppe – das Salz in der Suppe“ oder „A – Anti – Anticapitalista“ skandiert wird, teilnimmt, ist ähnlich witzig.
Ebenso frustrierend wie die Demonstration ist die Naivität in Bezug auf die Polizei, die jetzt in vielen Kommentaren zum Vorschein tritt. Dass solche Übergriffe eher zur Normalität gehören, wollen viele immer noch nicht wahrhaben. Stattdessen wird das Problem wieder individualisiert und auf wenige „Prügelbullen“ reduziert.
Danke für den Post. An neutralen Äußerungen zu den Geschehnissen und der Stimmung auf der Demo mangelt es bisher arg. Ich selbst bin seit ’ner Woche ans Bett gefesselt, sonst wäre ich dabei gewesen. Und ja, die Besucherzahl ist eine echte Enttäuschung.
Hab hier nochmal das Video in einer entwackelten Version gefunden.
wer bezahlt die polizisten? der steuerzahler! im welchem auftrag sind sie unterwegs. im auftrag des steuerzahlers! warum eskaliert dann so was? wäre die polizei nicht da gewesen, hätte es auch keine gewalt gegeben. das war in den 1970er jahren schon so und ist immer noch so! das ist ein skandal! alle bürger haben ein recht auf demokratie. schütz das grundgesetzt und die menschen in ihrem ausdruck der freien meinungsäußerung! der polizeieinsatz muß rückhaltlos aufgeklärt und mit aller härte bestraft werden! – http://ccc.de/updates/2009/pm-identifikationsnummer?language=de
Die Teilnehmerzahl entsprach genau meinen Erwartungen. Zur radikalen Linken: Ich unterstütze auch viele der dort zu findenden ideologien nicht. Jedoch – sofern es darum geht Totalüberwachung und staatliches Verhalten in einen Gesamtzusammenhang zu bringen, so findet man dort eher passende Erklärungsmuster, die man mit der schönen Theorie der Demokratie und Marktwirtschaft alleine nicht erklären kann. Die Anti-Überwachungs- und Zensurbewegung verweigert sich aber bisher der Systemfrage und einer tieferen Analyse der Ursachen die zu diesen Symptomen führt. Der Staat überwacht nict, weil er überwacht – sondern weil er dafür Gründe hat.
Man kann und darf linskradikale Kritik nicht ignorieren – oftmals haben die mehr Repressionen erlebt als viele derjenigen, die jetzt erst politisiert werden. So wie bei der Polizeigewalt. Im Fernsehen hört man immer nur die Polizeisicht. Insofern wäre dies mal ein Anlass einen zweiten Blick auf die Fakten zu werfen.
treffend fand ich einen banner auf der demo:
„Diktaturen brauchen Überwachung!“
das war inder DDR schon so und ist jetzt auch wieder so
stasi 3.0
„Freiheit statt Angst“
„Dass solche Übergriffe eher zur Normalität gehören, wollen viele immer noch nicht wahrhaben.“
Normalität? Tja, ich weiß nicht, auf welchen Demos und in welcher Welt Du Dich so rumtreibst. Dort, wo ich demonstriere, gehört Fehlverhalten der Polizei nicht zur „Normalität“.
Ja, auch die Polizei braucht Kontrolle. Ja, auch dort gibt es Arschlöcher. Aber deshalb die Polizei an sich als Problem zu bezeichnen, ist auch wieder zuviel.
Schau dir mal „Worum es geht“ an, da gehe ich weiter auf das Thema ein und es findet auch eine Diskussion statt.
Das habe ich mir ja durchgelesen und wie gesagt stimme ich Dir nicht zu.
„Polizisten sind als solche gewälttätig“ ist genau so differenziert wie „Linke sind als solche gewalttätig“. Beides sind dumme Lügen, die sich aus einem vereinfachten Weltbild ergeben, das teilweise auf dumpfem Hass basiert. Ich kann nur wiederholen, dass ich Deine Beobachtungen über den Zustand der Welt nicht bestätigen kann. Offenbar bin ich auf anderen Demos und in anderer Gesellschaft unterwegs als Du.
Wie gesagt, natürlich gibt es bei der Polizei Arschlöcher. Und ja, wir haben ein Problem damit, dass Arschloch-Polizisten zu selten bis nie sanktioniert werden. Und deshalb bin ich klar dafür, dass es eine Kennzeichnungspflicht per sichtbarer ID-Nummer für Demo-Polizisten gibt.
Trotz aller Kritik am Zustand der Polizei, ich werde die auch in Zukunft als erstes rufen, wenn in meine Wohnung eingebrochen wurde.
Ich hatte gehofft, dass du dich der Diskussion dort anschließen würdest. Aber meinetwegen hier.
Ich habe nicht behauptet, Polizisten wären als solche gewalttätig, ganz im Gegenteil. Ich habe behauptet, Polizisten wären nicht als solche nicht gewalttätig, also das Gegenteil einer Verallgemeinerung.
Auf was für Demos ich üblicherweise rumhänge lässt sich recht gut hier nachvollziehen. Dort ist es üblich, vor der Veranstaltung gründlich abgetastet zu werden, eine Stunde später zu starten weil ein Seitentransparent zu lang ist oder sich „im Umfeld der Demonstration gewaltbereite Personen aufhalten“ oder die Personen an der Spitze der Demonstration „uniformähnliche schwarze Kleidung tragen“ oder sich wie in Straßburg nach Beginn nicht mehr aus der Demonstration entfernen zu dürfen. Dort ist es ebenso üblich, dass die Polizei am Ende der Demonstration zum Stressabbau einzelne Leute brutal festnimmt oder gleich den ganzen Zug mit zweireihigem Spalier begleitet und ab und zu mal reinschubst. Von den extremeren Ereignisse aus „Worum es geht“ muss ich da gar nicht reden, auch wenn bsw. Fußballfans regelmäßig von solchen Ereignissen berichten.
„der Großteil der Teilnehmer waren parteipolitisch eingebunden und vermutlich auch mehr an Parteipolitik interessiert“
Es mag dir nicht gefallen, aber es gibt durchaus noch Leute, die sich politisch engagieren und etwas verändert wollen, statt nur die körperliche Konfrontation zu suchen.
Ich weiß nicht, was mich mehr anwidert: Die scheinheilige FDP mit ihren paar Teilnehmern auf der Demo oder die Kinder aus dem „antikapitalistischen Block“.
„Die Piratenpartei war bereits kaum von den Grünen zu unterscheiden.“
Das hätte ich auch gern mal näher erklärt.
Hi Maddin,
ich bin selbst Mitglied in der Piratenpartei und von daher Parteiarbeit schon mal nicht völlig abgeneigt. Ich finde es jedoch traurig, dass Nichtparteiorganisationen wie der CCC und die AK Vorrat bzw. Zensur, die meines Wissens nach hervorragende Arbeit leisten, so wenig präsent waren. Die Piratenpartei – und darauf bezieht sich auch der andere von dir zitierte Satz – ist für mich mittlerweile im Wesentlichen eine Marke, ein Lebensgefühl. Sie war auf der Demonstration eben nicht mit Inhalten vertreten, sondern mit ihrem Logo (Marke) und einem Truck mit Musik (Lebensgefühl). Der von dir so positiv hervorgehobene antikapitalistische Block hatte Inhalte, und zwar eine Menge. Körperliche Konfrontation wurde soweit ich es gesehen habe von ihm auch nicht angestrebt.
Ich hatte wie Adrian den Eindruck, dass die Demo dieses Mal stark von den Parteien dominiert war. Während die letzten beiden Male zwar auch Parteitransparente und -fahnen auftauchten, so waren die Demos die letzten Male doch bunter mit Nicht-Partei-Organisationen durchsetzt. Dieses Mal dominierten jedoch klar die Grünen, die FPD, die Linken und die Piraten das Bild. Das mag mit der dräuenden Wahl zu tun haben. Aber gefallen tut mir die Demo doch mehr, wenn Parteien und Nichtpartarteiorganisationen durchmischt auftreten.
Hallo,
wenn ich mir die vollziehenden Beamten ansehe, kommt mir ein sehr ähnliches Erlebnis in Gedächnis, dass sich in unserer schönen Stadt zugetragen hat. Die Beamten waren auch kurzgeschoren, hoch agressiv und körperlich Trainiert.
Hier in Braunschweig wurde – so hat mir ein Freund erzählt – ein argloser Mensch von eben solchen „Praktikern“ ohne Nennung von Gründen und Rechten (Zitat: „Ab jetzt haben sie keine Rechte mehr…“) in demütigender Weise ( völlig Entkleidet, unter Schlägen und Beschimpfungen, nackt ) in eine unbeleuchtet Zelle geworfen.
Wake me when 4. Reich is done… ;)
Gruß