Wohl das wichtigste netzpolitische Thema des letzten Jahres war der Kampf gegen Maßnahmen, die den Zugang zu Kinderpornografie verbreitenden Websites verhindern sollten. Ein wesentlicher Kritikpunkt an den geplanten Maßnahmen und dem begleitenden Gesetz waren mangelnde Transparenz des Sperrverfahrens und damit möglicher Missbrauch der Sperrstruktur gegen andere Websites. Gleichzeitig wurde das Löschen der Daten durch den Anbieter der Website als einzige Alternative im Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornografie im Web genannt. „Löschen statt Sperren“ ist jedoch eine politisch schädliche und gefährliche Forderung.
Laut dem Konzept „Löschen statt Sperren“ soll das BKA oder andere Strafverfolgungsbehörden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens schnell an den Anbieter der inkrimierten Webseiten herantreten und „unbürokratisch“ eine Löschung anstrengen. Als Rechtsgrundlage könnten dabei Beihilfe zu Straftaten, Störerhaftung, § 10 Telemediengesetz oder sogar der Straftatbestand selbst herangezogen werden.
Derartige „unbürokratische Löschungen“ sind ein hochgradig intransparentes Verfahren. Wenige Anbieter, die rechtliche Konsequenzen fürchten müssten, würden es riskieren, auf eine Löschanfrage mit einem Hinweis auf Kinderpornografie nicht zu reagieren. Eine rechtliche Prüfung des Löschbegehrens durch den Anbieter verbietet sich aber schon aus wirtschaftlichen Gründen. Kein Anbieter wird auf eigene Kosten den rechtlichen Status der Seiten seiner Kund_innen überprüfen lassen, erst recht nicht bei dem rechtlich komplexen und emotional aufgeladenen Thema ‚Kinderpornografie‘. Somit entsteht eine Situation, in der Strafverfolgungsbehörden willkürlich und ohne Rechtsgrundlage Seiten sperren können – die Anbieter werden aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen und um wirtschaftliche Verluste zu vermeiden in jedem Fall löschen. Für die Kund_innen ist es kaum möglich, sich gegen diesen Schritt zu wehren – in den meisten Fällen ist ein Umzug zum nächsten Anbieter (oft im Ausland) die sinnvollste Möglichkeit.
„Löschen statt Sperren“ ist kein zufriedenstellendes politisches Ziel. Die Etablierung „unbürokratischer Löschungen“ als reguläre polizeiliche Handlung verschiebt weitere Maßnahmen aus dem richterlichen Spielraum am Ende eines juristischen Prozesses in das Prozessvorfeld. Das ist eine Entwicklung, die bspw. bei Abmahnungen, Untersuchungshaft oder Hausdurchsuchungen zurecht deutlich kritisiert wird. Hierbei wird die Unschuldsvermutung aufgehoben, indem Beschuldigte im Vorhinein mit Sanktionen konfrontiert werden, gegen die sie dann kämpfen müssen.
Typische Beispiele für „unbürokratische Löschungen“ sind zwei Antifa-Webseiten, die im letzten halben Jahr vom Anbieter nach Ansprache durch die Polizei entfernt wurden. So gab es im Oktober 2009 eine „dringende[] Empfehlung“ der Freiburger Polizei an den Provider der lokalen Antifagruppe, woraufhin dieser die Seite vom Netz nahm. Wesentlicher bekannter wurde der Fall der Domain des Bündnisses „Dresden Nazifrei“. Mit was für absurden Maßnahmen hier eine Webseite gesperrt wurde, haben Thomas Stadler und Simon Möller beschrieben. Das ist die Realität „unbürokratischer Sperrungen“.
Wie die letzten Tage gezeigt haben, teilt die Bundesregierung – anders als Sperrgegner_innen – die Auffassung, dass die aktuelle Rechtslage keinen regulären, transparenten Löschprozess definiert. Dies wurde bei der öffentlichen Anhörung vor dem Petitionsausschuss des deutschen Bundestags deutlich, als Thomas Feist von der CDU die Petentin Franziska Heine fragte, ob sie sich von den oft geforderten „unbürokratischen Löschungen“ tatsächlich einen Transparenzgewinn gegenüber einem eigens in einem Gesetz definierten Prozess – den Zugangssperren – erhoffe. In ihrer Antwort sprach Franziska Heine vom Vertrauen in die rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren, in dessen Verlauf Löschbegehren an Anbieter stattfinden würden. Dieses Vertrauen teilt nicht einmal die Bundesregierung, die in Person des Parlamentarischen Staatssekretärs Max Stadler ein gesondertes Löschgesetz ankündigte. Auch Bundesministerin Kristina Schröder sprach gegenüber Spiegel Online davon, „möglicherweise […] weitere gesetzliche Regelungen“ anzustreben.
Auch bei diesem möglichen Gesetz würde es sich um reine Symbolpolitik handeln, die lediglich von der Ratlosigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und der Tatenlosigkeit der Bundesregierung in Bezug auf sexualisierte Gewalt (gegen Kinder) ablenkt. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass ein Prozess etabliert wird, der allgemein zur Löschung von Webseiten auf Anbieterseite durch Strafverfolgungsbehörden genutzt werden kann. Interessant bleibt die Frage, wie das Aufeinandertreffen heterogener Rechtssysteme im Internet beantwortet wird. Während die quasi nutzerseitigen Internetsperren hierauf noch eine praktikable, wenn auch dystopische Antwort in Form eines an deutsche Rechtsnormen angepassten „Deutschland-Netzes“ boten, können anbieterseitige Löschungen kaum den Anforderungen unterschiedlicher Rechtssysteme entsprechen. Sollte sich eine anbieterseitige Lösung dieses Konflikts durchsetzen, müssten Webseiten – wie heute schon üblich – ihre Inhalte selbstständig und dynamisch an den Rechtsraum der Nutzer_innen anpassen.
Löschungen von Webseiten sind ebenso zu kritisieren wie Sperren auf Seite der Internetanbieter. Der Prozess ist gleichermaßen ineffektiv – „Was einmal im Netz ist kann nie wieder gelöscht werden“ war mal ein beliebter Spruch – und intransparent. Ein etwaiges Gesetz könnte zwar für rechtliche Klarheit sorgen, würde mit der Etablierung anbieterseitiger Löschungen durch Strafverfolgungsbehörden aber ebenso einen Angriff auf das Netz darstellen.
Netzpolitisch Aktive sollten zur Kenntnis nehmen, dass ihre Hilfsargumente des letzten Jahres – gleich, ob sie technischer oder rechtlicher Natur waren oder unbefriedigende Kompromisse darstellten – nicht hilfreich waren, da sie nicht die Kernwidersprüche adressieren: Auf der einen Seite ein Rechtssystem, das es sich nicht erlauben kann, in großen Teilen des gesellschaftlichen Lebens keine Geltung zu haben, auf der anderen Seite die Forderung nach einem von externen Einflüssen gleich welcher Quelle freien Internets. Hinter dieser Forderung muss nicht einmal eine Ideologie vom Freiraum Internet stehen – es reicht die pragmatische Erkenntnis, dass Probleme und Unzulänglichkeiten klassischer Verdrängungs- und Verdeckungstechniken vom digitalen Kontext bis ins Extreme zugespitzt werden. In der Sache selbst muss klar sein, dass der Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder als gesellschaftliches Problem zu thematisieren ist. Als positives Beispiel für den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz kann die jüdische Webseite haGalil gelten, die die Urheber_innen rechter Seiten ermittelt anstatt sie lediglich über die Anbieter sperren zu lassen.
Links
- Adrian Heine: „Internetsperren – You‘re doing it wrong!“ in Adrians Blog
Mein Blog wurde bereits zweimal rechtsmißbräuchlich von bekennenden Piraten (derzeit prominenteste Vertreter des „Löschen statt Sperren“-Konzeptes) „an“-gemahnt. Es lag nach deren Meinung eines „Verletzung der persönlichen Ehre“ vor. Ich geriet in Erklärungsnot, reagierte aber promt. Einmal mit einem Impressum, ein fataler Fehler.
Mit diesem Konzept ist ein neues Zensurinstrument angedacht und Piraten wissen das und nutzen es zum eigenen Vorteil.
in diesem Punkt stimme ich dir zu, es kann nicht sein, dass, wie in china, einfach alles zensiert werden kann und wird. Die Probleme liegen eindeutig in der Gesellschaft und müssen auch dort behoben werden. Bei Pornografie fängt es an, aber wo hört es auf?
Ich hattem ich eigentlich über einen politisch neutralen Artikel gefreut, der dann aber doch noch – im letzten satz – seine linke note bekam. Trotzdem finde ich, dass du auf ein wichtiges thema hinweist.
Bzgl http://twitter.com/#!/adrianlang/status/71553812942430208
„Liebe #piraten, was euch da grad passiert, heißt „Löschen statt Sperren“ https://blog.adrianlang.de/?p=791 #servergate“
Du vergleichst also
-> die (anscheinend von dritten missbrauchten) offenen Kommunikationssysteme einer zugelassenen demokratischen Partei mit Verantwortlichen und mit Sitz in Deutschland
mit
-> Kinderpornografie die auf einem Server in einem Land ohne rechtlicher Handhabe liegt, wo ich keinen Betreiber kenne, der ISP nicht reagiert und die Polizei dort keine Gesetze hat oder diese nicht durchsetzt.
Denk nochmal drauf rum ok?
Nö, ich vergleiche unbürokratische internationale Zusammenarbeit von Polizeien mit unbürokratischer internationaler Zusammenarbeit von Polizeien. Und ob das eine jetzt deiner Meinung nach total gesetzeswidrig und das andere genau richtig ist, ist nicht nur mir total egal, sondern im Zweifel auch allen Richter_innen und Bull_innen dieser Welt. Darum gehts in diesem Blogpost.
> ich vergleiche unbürokratische internationale Zusammenarbeit von Polizeien mit unbürokratischer internationaler Zusammenarbeit von Polizeien.
Darum geht’s doch nicht, es geht darum, was dann die lokale Behörde tut, wenn sie das Amtshilfeersuchen bekommt. Sperren oder Löschen ist beides irrelevant, wenn ich den Verantwortlichen so oder so kenne und ihm habhaft werden kann.
Natürlich muß immer der Weg des geringsten Eingriffs gefahren werden und zwar erst Recht solang Deutschland der Rechtsstaat ist, der er zu sein scheint. So wie Deutschland von anderen Ländern nichts fordern kann, was dort die Verhältnismäßigkeit übersteigt, darf das auch umgekehrt nicht stattfinden!
Oder denkst Du, die USA hätten Pakistan auch einfach anrufen können „Hey, gebt dem Bin Laden doch mal nen Kopfschuß! Kuß und Gruß, Zaphod Obama“ Soll es so laufen? Wenn Du meinst, daß wir sowas gefordert haben, dann hast Du uns und 35.000 Bürgern nicht zugehört.
Dazu kommt ja dann auch noch, daß die Piratenpartei nichtmal das Ziel der Ermittlungen ist. Wenn ich dem mutmaßlichen Straftäter erstmal den Boden wegziehen will, damit er nichts mehr machen/ändern kann, dann ist das doch was anderes, als wenn ich das einem Infrastrukturanbieter antu, wie es die Piratenpartei in dem fall ist.
Oder willst Du, daß beim nächsten mal, wenn im Internet eine geklaute Kreditkarte über die Netze der Telekom eingesetzt wird, dann erstmal die gesamte Telekom offline genommen wird, bis man dort die Logs auswertet?
Ich hab keine Ahnung was du von mir willst. Ich fass dir gern nochmal meine These zusammen, falls du das brauchst. „Löschen statt Sperren“ heißt: Unbürokratische, internationale Zusammenarbeit zwischen Polizeien fordern. Das sind Dinge wie Server mitnehmen oder mal beim Provider anrufen und so. Das ist genau das, was passiert ist. Ich hab nirgendwo geschrieben, dass ich das eine oder andere gut finde, ich habe einfach nur die Forderung kritisiert.
„Was einmal im Netz ist kann nie wieder gelöscht werden“ war mal ein beliebter Spruch
— Meine Lieblingsformulierung davon ist ja: „Der Versuch Information aus dem Netz zu bekommen ist, wie Pisse aus dem Pool zu fischen.“